Die letzte Generation: Roman (German Edition)
NGS 549672 musste die Heimat der Overlords sein. Aber Anerkennung dieser Tatsache bedeutete, dass Jan all seine Vorstellungen von wissenschaftlichen Methoden über den Haufen werfen musste. Nun gut, dann musste er sie eben über den Haufen werfen! Er musste die Tatsache hinnehmen, dass Ruperts fantastisches Experiment eine bisher unbekannte Wissensquelle angezapft hatte.
Rashaverak? Das schien die wahrscheinlichste Erklärung zu sein. Der Overlord hatte zwar nicht im Kreis gesessen, aber das war von geringerer Bedeutung. Jan interessierte sich nicht für den parapsychologischen Hintergrund, er wollte nur die Ergebnisse benutzen.
Über NGS 549672 war sehr wenig bekannt. Es gab nichts, was diesen Stern von einer Million anderer unterschied. Aber der Katalog gab seine Größe an, seine Koordinaten und seinen Spektraltyp. Jan würde einige Nachforschungen und Berechnungen anstellen müssen, und dann würde er zumindest annähernd wissen, wie weit die Welt der Overlords von der Erde entfernt war.
10
D ie Menschheit sonnte sich weiterhin im langen, wolkenlosen Sommernachmittag des Friedens und Wohlstands. Würde es je wieder einen Winter geben? Das war undenkbar. Das Zeitalter der Vernunft, das die Anführer der Französischen Revolution vor zweieinhalb Jahrhunderten vorzeitig begrüßt hatten, war jetzt endlich gekommen. Diesmal war es kein Irrtum.
Es gab natürlich Schattenseiten, aber sie wurden bereitwillig hingenommen. Man musste schon sehr alt sein, um zu erkennen, dass die Zeitungen, die der Fernschreiber in jedem Heim druckte, im Grunde ziemlich langweilig waren. Vorbei waren die Krisen, die einst riesige Schlagzeilen geliefert hatten. Es gab keine geheimnisvollen Morde, die die Polizei vor ein Rätsel stellten und in Millionen Herzen die moralische Entrüstung weckten, die oft nur unterdrückter Neid war. Die Morde, die nun geschahen, waren niemals geheimnisvoll. Man musste nur an einem Knopf drehen, und schon konnte man die Szene des Verbrechens sehen. Dass es Maschinen gab, die dazu imstande waren, hatte zunächst unter völlig gesetzestreuen Menschen beträchtliche Panik hervorgerufen. Diese Reaktion hatten die Overlords, die die meisten, aber nicht alle Wunderlichkeiten der menschlichen Psychologie kannten, nicht vorausgesehen. Es musste genau erklärt werden, dass ein solcher »Voyeur« nicht in Lage war, die Menschen auszuspionieren, und dass die wenigen in menschlichen Händen befindlichen Geräte unter strenger Kontrolle standen. Rupert Boyces Projektor zum Beispiel funktionierte nur innerhalb der Grenzen des Reservats, sodass er und Maia die einzigen Personen innerhalb seiner Reichweite waren.
Selbst die wenigen ernsthaften Verbrechen, die sich ereigneten, wurden in den Zeitungen und Nachrichten nicht besonders beachtet. Wohlerzogene Menschen hatten kein Verlangen danach, über die gesellschaftlichen Entgleisungen oder Verfehlungen anderer zu lesen.
Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit betrug jetzt zwanzig Stunden, aber diese zwanzig Stunden waren keine leichte Sache. Es gab nur noch wenige Arbeiten rein mechanischer Art. Die Gehirne der Menschen waren zu wertvoll, um sie für Aufgaben zu verschwenden, die von ein paar tausend Transistoren, einigen photoelektrischen Zellen und einem Kubikmeter gedruckter Schaltungen bewältigt werden konnten. Es gab Fabriken, die wochenlang arbeiteten, ohne von einem einzigen lebenden Wesen besucht zu werden. Menschen wurden gebraucht, um Störungen zu beseitigen, um Entscheidungen zu treffen, um neue Unternehmungen zu planen. Das übrige besorgten die Roboter.
So viel Freizeit hätte noch vor hundert Jahren ein gewaltiges Problem bedeutet. Die Erziehung hatte die meisten dieser Schwierigkeiten beseitigt, denn ein gut ausgerüstete Geist war gegen Langeweile gefeit. Das allgemeine kulturelle Niveau war im Vergleich zu früheren Zeiten fantastisch. Es gab keine Hinweise, dass sich die Intelligenz der Menschen verbessert hatte, aber zum ersten Mal war jedem die Möglichkeit gegeben, das Gehirn, das er besaß, voll auszunutzen.
Die meisten Menschen hatten zwei Wohnsitze in weit auseinander liegenden Teilen der Welt. Nachdem jetzt die Polargebiete erschlossen waren, pendelte ein beträchtlicher Teil der Menschheit alle sechs Monate zwischen Arktis und Antarktis, um dem langen Polarsommer, der keine Nächte kannte, zu folgen. Andere waren in die Wüste gezogen, auf die Berge oder sogar ins Meer. Es gab keinen Ort auf dem Planeten, wo es Wissenschaft und Technik
Weitere Kostenlose Bücher