Die letzte Hürde
Zwiesprache. Jetzt stand er vor der alten Stute Happy, die neugierig schnobernd die Nase an die Gitterstäbe hob. Der junge Reitlehrer streichelte mit den Fingern das samtweiche Maul.
„Na, alte Dame? Willst mich mit einem Küßchen begrüßen? Du bist eine ganz Liebe, Kluge, das sehe ich doch sofort!“ Er schob die Boxentür auf und trat an die Stute heran.
Im gleichen Augenblick erklang aus dem Stroh an der Boxenwand ein gedämpfter Aufschrei. „Au, verdammt!“ Bille zuckte erschrocken zusammen. „Achmed! Was machst du denn hier?“
Der junge türkische Stallhelfer rappelte sich verwirrt auf, strich sich hastig durch die strubbeligen Haare und sah Bille mit verschlafenem Blick an. „Kleiner Mittagsschlaf“, sagte er entschuldigend und grinste. „Muß mir Wartezeit vertreiben.“
„Mittagsschlaf ist gut!“ Bille lachte kurz auf. „Wir haben längst Abend. Ich nehme an, du wartest auf eine junge Dame? Holt sie dich hier ab? Also, ich will’s gar nicht wissen. Inzwischen kann ich dich schon mal deinem neuen Chef vorstellen - Herrn Horbach . Das ist Achmed, Hannes, er ist ein guter Pferdepfleger!“
Achmed wurde rot vor Stolz, gleichzeitig schielte er an Hannes vorbei auf die Stalltür, die jetzt einen Spaltbreit geöffnet und sofort wieder geschlossen wurde.
Bille war aufmerksam geworden. „Ich glaube, du wirst erwartet. Geh nur, wir bleiben noch ein bißchen hier.“ Achmed schnürte eilig davon, und Bille sah ihm seufzend nach.
„Machst du dir Sorgen seinetwegen?“ fragte Hannes.
„Ach was!“ Bille lächelte. „Reiner Neid! Wenn man um sich herum lauter Verliebte hat und selber solo ist! Meinen Freund bekomme ich höchstens alle paar Wochen zu sehen!“
Hannes Horbachs Gesicht verschloß sich unversehens. „Sei froh! Du hast wenigstens jemanden, auf den du dich freuen kannst.“
„Du nicht?“ erkundigte sich Bille vorsichtig.
„Nein. Ich nicht. Nicht mehr.“
Flug nach Nizza
An diesem Abend wartete Bille vergeblich auf einen Anruf von Simon. Auch ein Brief war nicht gekommen. Zweimal rief sie in seinem Hotel an und hörte nur, er sei noch nicht da. Nach dem dritten Versuch gab sie es auf.
Auch in den nächsten Tagen war nichts für sie im Briefkasten. Kaum konnte sie sich überwinden, morgens aus dem Haus zu gehen, bevor der Postbote dagewesen war. Um so schlimmer war es, wenn sie vergeblich gewartet hatte. Mutsch und Onkel Paul beruhigten sie. Post aus dem Ausland brauche immer ein wenig länger. Vielleicht war mal wieder irgendwo ein Streik? Und war Simon nicht inzwischen Gast bei einem französischen Pferdezüchter? Vielleicht war es ihm peinlich, auf Kosten seiner Gastgeber ein Ferngespräch nach Deutschland zu führen. Doch das konnte Bille nicht trösten. Wenn man wirklich wollte, fand man immer eine Möglichkeit, anzurufen. Über Daddy mußte sie erfahren, wo Simon placiert gewesen war, wo er gesiegt hatte! Wenigstens das hätte er ihr doch selbst sagen können!
Nach vier Tagen schließlich meldete er sich. Ob sie Lust hätte, am Wochenende nach Nizza zu kommen, fragte er. Den Flug bekäme sie von ihm geschenkt.
„Deine Flugkarte ist in Hamburg am Schalter hinterlegt, dein Flug geht irgendwann gegen drei. Sei nicht böse, ich muß Schluß machen, ich bin schon irre spät dran. Ich hole dich dann vom Flughafen ab, ja? Ich freue mich!“
Weg war er. Bille schluckte ein leichtes Unbehagen hinunter. Warum war er so förmlich gewesen? So abgehetzt? Ganz fremd hatte seine Stimme geklungen. Nun ja -vielleicht war er nicht allein gewesen, hatte Zuhörer gehabt. Jedenfalls würde sie ihn sehen, nur darauf kam es an. Langsam stieg die Vorfreude in ihr auf und verdrängte die unguten Empfindungen. Nizza! Schon das Wort klang aufregend!
Die zwei Tage bis zum Abflug ging Bille wie im Traum umher. Sie hatte Mühe, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, und wer sie etwas fragen wollte, mußte sie mehrmals ansprechen, bevor sie geistesabwesend aufsah.
Dabei drehten sich ihre Gedanken nicht nur um das Wiedersehen mit Simon. Auch Sorgen schlichen sich ein. Sie konnte kaum Französisch, nur das bißchen, das sie in einem Jahr Schulunterricht mitbekommen hatte. Hoffentlich blamierte sie sich nicht! Und was sollte sie anziehen? Sicher waren die Leute, denen sie in Nizza begegnen würde, schick und modisch angezogen. Sie wollte schließlich, daß Simon stolz auf sie war, wenn er mit ihr ausging. Am Abend vor der Reise durchstöberte Bille den Schrank ihrer Mutter und schwatzte ihr alles
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