Die letzte Hürde
Kopfschmerzen. Vielleicht sollte ich lieber Schlafengehen!“
„Bien sûr , ma petite , schlafen Sie sich aus. Morgen früh wird es Ihnen bessergehen. Bonne nuit !“
Bille schlich sich hinaus und stieg in ihr Zimmer hinauf.
Sie wartete lange, ob Simon käme, um ihr Gutenacht zu sagen. Aber Simon kam nicht, und schließlich schlief sie ein.
Der Ausritt am nächsten Tag fand früh statt, um die Kühle der Morgenstunden auszunutzen. Gegen Mittag wurde es hier in Südfrankreich sehr heiß. Sie waren sieben; außer Simon und Bille waren Nathalie, ihr Vater und ihre drei Geschwister dabei. Auch Simon ritt eines der Gestütspferde. Nathan, Jamaika und Feodora sollten später ein kurzes Training absolvieren und durften dann wieder auf die Koppel.
Bille fühlte sich besser, die Kopfschmerzen waren verschwunden. Sobald sie im Sattel saß, war sie wieder in ihrem Element. Als schließlich Nathalies Vater ihr Komplimente machte und sagte, er habe es nicht geglaubt, daß Simon im eigenen Stall so eine starke Konkurrenz hätte, war Bille fast glücklich. Fast, denn Simon ritt an Nathalies Seite, und die beiden alberten miteinander herum, als seien sie allein auf der Welt. Was nützte es ihr da, daß sie ein Traumpferd unter dem Sattel hatte und daß André, Nathalies ältester Bruder, nicht von ihrer Seite wich und seinen Blick jedesmal, wenn sie in seine Richtung sah, so tief in ihre Augen versenkte, als wolle er feststellen, ob sie Haftschalen trug. Verdammt, sie wollte nicht André, sie wollte Simon - und den für sich allein!
Doch auch für den Rest des Tages mußte sie ihre Hoffnungen begraben. Schon am Vormittag kamen neue Gäste, man brach zu einem Picknick am Strand auf. Zum Tee machten sie einen Besuch auf einem Nachbarbesitz, spielten Krockett im Park, gingen durch die Ställe, um die Pferde zu begutachten - und dann war es auch schon Zeit für Bille, die Heimreise anzutreten.
Diesmal fuhr André sie und Simon zum Flughafen. Seine Eltern verabschiedeten sich von Bille, als gehöre sie schon seit langem zur Familie; und Nathalie umarmte und küßte sie.
Am Flughafen begleitete Simon sie bis zur Sperre. Wie er da so braungebrannt und strahlend vor ihr stand, ein gutaussehender, schlanker junger Mann, den jedes Mädchen ansah, strahlend vor guter Laune, fühlte Bille sich so weit von ihm entfernt, so hoffnungslos verzweifelt, daß sie Mühe hatte, die Tränen zurückzuhalten.
„Schade, daß wir nicht richtig Zeit für uns hatten“, sagte er. „Aber war doch lustig, oder? Hier kann man’s aushalten, nicht? Ein tolles Leben, so großzügig und frei. Ich wünschte, ich müßte nicht übermorgen schon weg“, sagte Simon leichthin. „Na ja, die Pflicht ruft, ich melde mich dann aus der Schweiz, ja?“
„Du hast mich nicht ein einziges Mal nach zu Hause gefragt“, sagte Bille leise. „Nach Tiedjen, nach den Pferden. Nicht mal nach Pünktchen, das ist eigentlich am schlimmsten. Na ja, ich kapier’s ja, das ist wohl jetzt alles nicht mehr so wichtig für dich. Also, tschüs. Mach’s gut.“
Damit drehte sie sich um und ging. Simon sah ihr verwirrt nach. Als er schließlich ihren Namen rief, war Bille längst verschwunden.
Im Flugzeug kauerte Bille sich auf ihrem Fensterplatz zusammen und ließ den Tränen freien Lauf. Zum Glück war die Maschine nur schwach besetzt und niemand beachtete sie. Sie konnte sich nicht erinnern, daß sie jemals so unglücklich war. Doch, einmal, als sie erfuhr, daß Mutsch beschlossen hatte, mit ihr in die Stadt zu ziehen und ihre Reiterträume für immer begraben zu sein schienen. Aber damals hatte sie für ihr Glück gekämpft und mit Onkel Pauls Hilfe gesiegt. Aber jetzt? Da gab es nichts zu kämpfen. Simon war ihr entglitten, war glücklich in einer anderen Welt, mit einem anderen Mädchen. Einem Mädchen, das hübscher, selbstsicherer und reicher war als sie, aus einer Familie, die viel besser zu Simon paßte. Was sollte ihm da eine Bille Abromeit aus dem Dorf Wedenbruck noch bieten können! Es war sinnlos. Aus! dachte Bille. Es hat keinen Sinn, sich was vorzumachen. Aus und vorbei. Und er merkt es nicht einmal. Es war eben einfach zu schön gewesen. „Es gibt im Leben immer neue Hürden, die man überwinden muß“, sagte Mutsch immer. „Besonders dann, wenn gerade alles in Ordnung zu sein scheint.“
Zu ihrem Erstaunen wurde Bille nicht von Onkel Paul, sondern von Hannes Horbach am Flughafen Hamburg abgeholt. Bille war vor der Landung schnell auf die Toilette gegangen
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