Die letzte Hürde
ab, was auch vor den Augen verwöhnter französischer Reiterinnen bestehen konnte.
Onkel Paul fuhr sie zum Flughafen und überschüttete sie mit guten Ratschlägen. Er war aufgeregt wie eine Glucke, die Entenküken ausgebrütet hat und Zusehen muß, wie sie sich zum erstenmal ins Wasser stürzen.
„Hast du auch wirklich genug französische Franc dabei? Laß dir von Simon gleich etwas Kleingeld geben, falls du mal telefonieren mußt. Was ist mit deinem Paß, hoffentlich ist er noch nicht abgelaufen!“
Bille hatte kaum zugehört, ihre Gedanken eilten weit voraus. Doch schließlich wurde sie ungeduldig. „Aber Onkel Paul! Du tust so, als ob ich noch keine zehn Jahre alt wäre! Ich verreise doch nicht zum erstenmal!“
„Immerhin zum erstenmal allein! Das ist schließlich ein Unterschied.“
„Ich bin auch diesmal nicht allein. Simon wartet am Flughafen in Nizza, und das Flugzeug wird ja nicht ausgerechnet heute entführt werden. Mach dir keine Sorgen, hörst du?“ Bille war froh, als sie durch die Sperre gehen konnte und Onkel Pauls Blicken entschwand. Der konnte einen richtig nervös machen. So ein Quatsch! dachte sie. Andere
reisen in meinem Alter allein durch die ganze Welt!
Doch als sie dann vor dem Flughafen Nizza stand und von Simon weit und breit nichts zu sehen war, fühlte Bille sich alles andere als behaglich. Wenn er nun nicht kam? Wenn ihm etwas zugestoßen war? Wenn sie doch nur besser Französisch gelernt hätte! Bille kramte ihr Reisewörterbuch heraus und versuchte, sich die wichtigsten Sätze einzuprägen.
Sie wollte gerade in die Halle zurückkehren, als Simon kam. Er saß neben einem auffallend hübschen Mädchen in einem offenen Jeep und winkte ihr schon von weitem mit beiden Armen zu. Das Mädchen stoppte den Wagen rasant in Billes Höhe, Simon sprang hinaus und riß Bille stürmisch in die Arme. „Hallo! Bonjour , Chérie , entschuldige, daß wir so spät dran sind. Wir haben einen großen Ausritt gemacht und total die Zeit vergessen, du weißt ja, wie so was läuft.“
„Klar, macht doch nichts!“ Billes Stimme klang heiser, und sie mußte sich zweimal räuspern. Sie fühlte sich hölzern und steif und ärgerte sich zugleich über ihre Unbeholfenheit.
„Komm, ich möchte dich mit Nathalie bekanntmachen. Leider spricht sie kein Deutsch, nur ein bißchen Englisch. Nathalie, das ist Bille .“
„Bonjour, Bille, bienvenue à Nice!“
„Bonjour, Nathalie ... äh ... merci ..."
Die beiden Mädchen gaben sich die Hand, sie lächelten sich an und musterten sich verstohlen. Na, vor der kann ich mich verstecken, dachte Bille und versuchte, ihr Unbehagen mit einem kumpelhaften Grinsen zu überspielen. Die macht ja sogar Bettina Konkurrenz, mit ihrer sonnengebräunten Samthaut und den schwarzen Kulleraugen. Und die Figur! Gegen die bin ich eine Tonne!
Simon hatte Billes Tasche verstaut und setzte sich auf die schmale Rückbank.
„Komm, steig ein, wir fahren aufs Land. Wir sind bei Nathalies Eltern zu Gast.“
„Wir bleiben nicht in Nizza?“ Bille hatte Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen.
„Nein, wir wohnen in der Villa des Gestüts! Es wird dir super gefallen, sie haben das tollste Anwesen, das du jemals gesehen hast! Und Nathalies Mutter ist sehr nett. Auch ihr Vater und ihre Geschwister, ich fühle mich schon richtig als Familienmitglied.“
Das merke ich, dachte Bille bei sich.
Simon übersetzte Nathalie, was er gesagt hatte. Er sprach gut Französisch und fügte noch einige Sätze hinzu, die Bille nicht verstand; die beiden lachten. Bille war wie betäubt. Mit Gewalt versuchte sie, ihre Niedergeschlagenheit zu unterdrücken. Eigentlich sollte sie sich doch freuen!
Sie würde eines der schönsten Gestüte Frankreichs sehen, würde das Wochenende mit Simon in einer herrlichen Umgebung bei netten Menschen verbringen, Pferdenarren wie sie selbst - gewiß ein unvergeßliches Erlebnis! Sie hatte sich die zwei Tage mit Simon nun einmal ganz anders vorgestellt.
Simon schien nicht zu bemerken, wie ihr zumute war. Strahlend machte er sie auf die Schönheit der Landschaft aufmerksam und zeigte schließlich zu einem Hügel hinüber, auf dem hinter hohen Parkbäumen versteckt ein Landhaus lag. „Da ist es! Beaumont- sur -les- deux - Chapelles ! Sieht es nicht toll aus?“
Nathalie lenkte den Wagen in eine von Zypressen eingefaßte Allee, bog in die mit weißem Kies bestreute Einfahrt ein und hielt vor dem Haus. Hunde stürzten bellend heraus und umringten neugierig den Wagen,
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