Die letzte Hürde
ein Hausmädchen erschien und nahm Bille die Tasche ab. Sie redete mit einem solchen Wortschwall auf sie ein, daß Bille nicht eine Silbe verstand, sie sah hilfesuchend zu Simon hinüber.
„Sie wird dir dein Zimmer zeigen. Sicher möchtest du dich ein bißchen frisch machen. Wir warten hier auf dich. Und dann gibt’s die große Stall- und Koppelbesichtigung. Beeil dich!“
Komm doch mit! hätte Bille am liebsten gerufen, ich möchte dich ein paar Minuten für mich allein haben. Aber sie traute sich nicht, Nathalie hätte das vielleicht unhöflich gefunden. Hier war alles so anders, so fremd. Simon schien das nichts auszumachen, nun ja, er beherrschte die Sprache, das machte es leichter. Und er war in einer ähnlichen Umgebung aufgewachsen, auf einem großen norddeutschen Gestüt. Bille fühlte sich scheußlich. Verwirrt lief sie hinter dem Hausmädchen her, die Treppe hinauf, einen langen Gang entlang und wieder ein paar Stufen hinauf, um die Ecke ... Hoffentlich verirrte sie sich nicht auf dem Rückweg!
Das Gästezimmer, in das sie geführt wurde, verschlug ihr wirklich die Sprache. Mit Mühe brachte sie ein gestottertes „Merci bien “ heraus, als das Mädchen die Vorhänge zurückzog, die Tür zum Badezimmer öffnete und sie dann höflich allein ließ.
Kaum war Bille allein, warf sie sich mit einem schwungvollen Anlauf auf das Himmelbett, sah in die geblümten Stoffbahnen hinauf, die mehrfach gerafft seitlich bis auf den Boden fielen, ließ ihren Blick über die antiken Möbel und den großen Spiegel wandern und seufzte tief auf.
Mannomann , dachte sie, wenn ich das zu Hause erzähle, glauben die mir das nicht! In das Zimmer geht unser halbes Haus rein! Und das Bad erst! Messing und Marmor, ich glaube, ich spinne! Sibylle Abromeit, kneif dich mal, ob du das nicht nur träumst!
Als sie wenig später mit Simon und Nathalie durch die Ställe ging, den vertrauten Pferdegeruch in der Nase, und sich mit Stuten und Fohlen, mit den edlen Zuchthengsten und mit dem Zwergesel Pierrot, dem Maskottchen des Stalls, bekanntmachte, fühlte sie sich gleich viel besser. Sie gingen zu den Koppeln hinaus, und Nathalie erzählte die Geschichte jeden Pferdes, das sich ihnen näherte.
Jamaika und Feodora hatten eine Koppel für sich. Als Bille die beiden Pferde entdeckte, durchrann sie ein Gefühl heißer Freude. Es war wie ein Stück Heimat in der Fremde, die zwei hier zu sehen. Sie sprach lange mit ihnen, erzählte ihnen von den Stallkollegen und was es in Groß-Willmsdorf für Neuigkeiten gab.
„Morgen früh werden wir alle zusammen einen Ausritt machen, Nathalie hat gesagt, du kannst dir ein Pferd aussuchen. Aber jetzt müssen wir uns umziehen, in einer halben Stunde gibt es Essen. Es werden ein paar Gäste kommen“, übersetzte Simon, was Nathalie ihm sagte.
Da war es wieder, das Unbehagen. „Gäste? Oje, ich mit meinen drei Brocken Französisch! Kann ich beim Essen wenigstens neben dir sitzen?“
„Ich weiß nicht, ich werde fragen!“ erwiderte Simon unbefangen.
Natürlich saß Bille nicht neben Simon, sondern neben einem Bruder von Nathalie, der in der Schule ein wenig Deutsch gelernt hatte, und damit ebenso kämpfte wie Bille mit ihrem Französisch. Der Junge hieß Michel, er war ein Jahr jünger als Bille, aber von so natürlichem, sicherem Benehmen, daß sie von Minute zu Minute verkrampfter wurde und sich schließlich kaum noch zu schlucken traute. Und das bei so einem göttlichen Essen! dachte sie ärgerlich. Was ist bloß mit mir los! Lieber Gott, wäre ich doch schon wieder zu Hause!
Simon merkte nichts von ihren Nöten. Wie sich herausstellte, waren die Gäste seinetwegen eingeladen worden, Reiter und Pferdezüchter, Turnierkameraden und solche, die es werden wollten. Er war der junge Star, der im Mittelpunkt des Interesses stand, von allen Seiten prasselten die Fragen auf ihn ein, flogen Späße hin und her, endeten in allgemeinem Gelächter. Und nicht ein einziges Mal schaute er zu ihr herüber! Bille verstand von dem, was gesprochen wurde, kein Wort. Ein bohrender Kopfschmerz machte sich bemerkbar und verstärkte sich von Minute zu Minute.
Nathalies Mutter, die ein wenig Deutsch sprach, schien Billes Verzweiflung zu spüren. Als alle nach dem Essen in den Salon hinübergingen, wo der Kaffee serviert wurde, legte sie ihr den Arm um die Schultern. „Sie sind so blaß, ma chérie . Ist Ihnen nicht gut? Es war ein langer Tag für Sie!“
„Ja, ich bin sehr müde, und ich habe furchtbare
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