Die letzte Jungfrau ...
ich kann mir nicht vorstellen, dass Ben oder der Bürgermeister die richtige Schlagkraft dafür besitzen. Oder genügend Mumm.”
“Ehrlich gesagt, ich kann mir auch Rolly nicht als Schläger vorstellen. Er ist vielleicht ein bisschen hitzköpfig, aber nicht hinterhältig.”
“Dafür habe ich nur dein Wort. Nicht, dass es ihm etwas nützen würde.”
Annie traute sich fast nicht nachzuhaken. “Inwiefern nicht?”
“Wer auch immer uns diese Streiche spielt, will sich damit bei mir anbiedern. Er hofft, dass ich ihm den Vorfall von damals verzeihe, wenn er mir hilft, dich zu kompromittieren.”
“Und wirst du ihm verzeihen?”
“Nein.” Trotz des schwachen Lichts konnte sie den unnachgiebigen Ausdruck in seinen dunklen Augen erkennen. “Sobald ich weiß, wer es ist, werde ich mich als Nächstes um ihn kümmern.”
Sein Ton ließ sie schaudern. Er klang so hart, kalt und endgültig. Sam dachte offensichtlich nicht daran, Nachsicht zu üben, und das verhieß nichts Gutes. Wahrscheinlich stand sie, Annie, ganz oben auf der Liste derjenigen, mit denen er abrechnen wollte. Und wenn in dieser Nacht niemand mehr rechtzeitig beim Bootshaus erschien, würde er sein Ziel erreichen.
“Was geschieht, nachdem du mich ruiniert hast?”, fragte sie nervös.
“Kannst du dir das nicht vorstellen?”
“Nicht wirklich.” Sie stand auf und ging zur Tür. Wieder nützte alles Rütteln und Ziehen nichts. Langsam drehte Annie sich um und lehnte sich gegen das raue Holz. “Vielleicht glaubt uns ja niemand, dass etwas geschehen ist.”
Sam hob die Jutesäcke auf und warf sie ins Boot. “Das ist unwahrscheinlich. Immerhin habe ich aus meinen Absichten keinen Hehl gemacht. Wenn wir beide heute Nacht hier zusammen sind, wird jeder das Schlimmste vermuten.” Er lächelte breit. “Oder das Beste.”
“Und dann gehst du fröhlich deiner Wege? Nach New York zurück?”
“Oh nein. Ich plane doch, von jetzt an auf Delacorte Island zu leben. Hast du das etwa vergessen?”
“Ach richtig, du hast es mal erwähnt.” Dass er beabsichtigte, für immer zu bleiben, beruhigte sie aus unerfindlichen Gründen. “Du musst ja auch noch mit anderen Leuten abrechnen. Ich bin nur die Erste auf deiner Liste.” Leider war es inzwischen so dunkel, dass sie seinen Ausdruck nicht mehr deuten konnte. Sah Sam noch immer unerbittlich aus, oder war seine Wut inzwischen besänftigt?
Er warf noch einige Säcke ins Boot. “Du klingst besorgt.”
“Das bin ich auch.” Annie ging zum Boot und blieb Sam gegenüber stehen. “Sam?”
“Ja, mein Schatz?”
“Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich ruinieren lassen möchte. Wahrscheinlich gefällt es mir nicht halb so gut, wie ich bisher dachte.”
“Vertraust du mir nicht?”
Sie antwortete, ohne zu überlegen. “Doch. Ich habe dir immer vertraut und werde es immer tun.”
“Dann glaub mir, wenn ich dir jetzt versichere, dass es dir ausgezeichnet gefallen wird.” Er schüttelte eine alte Steppdecke aus und breitete sie über die Säcke im Boot.
Da Annie darauf keine Erwiderung einfiel, schwieg sie. Draußen schlugen die Wellen leise ans mit Schilf bestandene Ufer des Sunds, Grillen zirpten, und die Ochsenfrösche quakten laut. In der Ferne rief klagend eine Eule.
Allmählich wurde Annie das Schweigen peinlich. “Eulen sollten nicht so gespenstische Laute von sich geben”, bemerkte sie.
“Komm zu mir, Annie.”
“Okay.” Erstaunt stellte sie fest, dass ihr die Knie weich wurden. “Dir ist aber klar, dass ich mich anstandshalber wehren muss.”
“Nein, das wirst du nicht tun. Komm her.” Er hielt ihr die Hand hin. “Es hat keinen Sinn, das Unvermeidliche hinauszuzögern.”
Widerstrebend ging sie ums Boot und blieb kurz außerhalb von Sams Reichweite stehen. “Früher hast du immer behauptet, du wolltest mit mir keinen vorehelichen Sex haben, weil du kein illegitimes Kind wolltest. Du hast dir ja oft boshafte Bemerkungen gefallen lassen müssen, weil deine Mutter unehelich geboren war.”
“Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Du wirst heute Nacht bestimmt nicht schwanger.” Er klang amüsiert. “Ich habe an alles gedacht.”
“An alles gedacht?”, wiederholte sie, und plötzlich wurde ihr der Sinn der Bemerkung klar. “Du bist also auf alle Eventualitäten vorbereitet? Du hast erwartet, dass wir wieder in eine solche Zwangslage geraten?”, fragte Annie empört. “Das fasse ich einfach nicht. Wie konntest du nur?”
Jetzt lachte Sam laut. “So wie sich die
Weitere Kostenlose Bücher