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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Verhulst
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spielte Monopoly mit imaginären Pfennigen. Letzteres war Wannes’ Idee gewesen, und er kam sich prompt vor wie ein Didaktikgenie. Da sie nicht wussten, ob es im Schwarzwald genug Banken gab und ob die dann auch in der Nähe waren, hatten sie lieber gleich ausreichend Bargeld mitgenommen. Am sichersten war es ihnen erschienen, das Geld auf verschiedene Portemonnaies zu verteilen, Diebe gab’s überall, und Touristen waren schon immer deren Lieblingsopfer gewesen. Ein paar große Banknoten wurden in Martines BH eingenäht, der Umschlag mit den Reiseschecks in ein Kreuzworträtselheft gesteckt.
    Jaco, der taubstumme Papagei, wurde für eine Woche zu Wannes’ Eltern gegeben. Weniger, um ihn vorm Hungertod zu bewahren (im Prinzip konnte man Körner und Samen für einen ganzen Monat in seinen Futterbehälter füllen), vielmehr war es die Einsamkeit, die der Papagei nicht ertragen hätte. Von Zeit zu Zeit brauchte er Zuwendung von einem Menschen. Geschah das nicht, zerpflückte er sein Federkleid bis zum letzten Rest und saß wie ein abgenagter Hühnerknochen auf seinem Stab, sich apathisch vor und zurück wiegend, wahrscheinlich von Afrika träumend und vom Äquator.
    Den größten Gewinn von diesem Urlaub hatte zuletzt noch der Goldfisch. Natürlich konnte das arme Tier nicht eine ganze Woche lang in seinem Gurkenglas bleiben, wenn das Wasser nicht mindestens einmal gewechselt wurde. In einem Glas überleben zu müssen, das dunkelgrün war vor Kacke – man musste schon völlig gefühllos sein, um nicht zu begreifen, dass es Schöneres gab, auch für einen Fisch. Darum wurde beschlossen, die Badewanne zu füllen und dem namenlos gebliebenen Achtflosser eine Woche fast ozeanischer Bewegungsfreiheit zu gönnen. Gut möglich, dass er am ersten Tag einen Flossenkrampf bekam, eh er die andere Seite erreichte!
    »Okay, haben wir jetzt alles?«
    »Ich glaube schon.«
    »Sind alle Lichter aus? Alle Stecker gezogen? Die Batterien aus der Uhr genommen? Der Boiler abgestellt? Die Fernsehkabel aus der Buchse gezogen? Sind alle Fenster zu? Auf der Toilette noch mal richtig gespült? Das Wasser abgestellt? Der Kühlschrank abgetaut und ratzeputz leer? Haben die Pflanzen noch Wasser bekommen? Sind die Fahrräder im Hof abgeschlossen? Ja? Sicher? Ganz sicher? Zweihundertprozentig? Dann können wir gehen, nehme ich an.«
    Und weg waren sie, bepackt wie Flüchtlinge in einem Bürgerkrieg. Es waren mindestens noch drei Kilometer bis zu dem Treffpunkt, wo der Reisebus sie einladen sollte. Keine fünfhundert Meter jedoch, und Martine stieß schnaufend hervor: »Und dabei wär’s zu Hause so schön gemütlich gewesen!« Es war ihr nur so herausgerutscht, doch hätte es den Urlaub gründlich verderben können, noch ehe er richtig begonnen hatte. Aber Wannes hatte es nicht gehört oder konnte sehr gut so tun als ob. Was er jedoch nicht überhören konnte, war Martines plötzlicher Schrei.
    »Wannes!!!«
    »Was ist denn?«
    »Ich glaub, ich hab die Balkontür nicht verriegelt!«
    »Ist sie denn zu?«
    »Ja, zu ist sie. Aber nicht verriegelt!«
    »Na und? Wir wohnen im vierten Stock, wer so in die Wohnung einsteigen will, müsste schon Zirkusartist sein. Ich wüsste übrigens nicht, was es bei uns noch zu holen gäbe; alles, was wir haben, steckt in unsern drei Koffern.«
    »Wir müssen zurück, Wannes! Ich hab keine Ruhe, bis ich nicht ganz sicher weiß, dass die Balkontür verriegelt ist. Ich kann keine Sekunde der Reise genießen, und ihr habt dann auch nicht viel Freude an mir!«
    »Ach, weißt du was? Schau doch allein nach! Ich warte hier mit Jimmy, bei den Koffern. Und beeil dich ein bisschen, sonst fährt der Bus ohne uns ab!«

Kapitel 8
    D er frühe Morgen eines fußballlosen Sommers, die Straßen noch völlig verlassen. Jimmy mit Wannes allein auf dem Bürgersteig, flankiert von drei prallen Reisekoffern; er wartete, dass seine Mutter von ihrer Extra-Inspektionsrunde zurückkehren würde. Es geschah nicht oft, dass Jimmy mit Wannes allein war, und wenn, war ihm das meist unangenehm. Er wusste nie, was er mit dem Mann reden sollte. Bei seiner Mutter war er selten um Gesprächsstoff verlegen, er quasselte und quasselte ohne Pardon, eine Schwatzliesel, gefangen in einem Jungenkörper, so dass die Leute manchmal schon sagten: »Wenn der Kleine wenigstens mit Batterien laufen würde, dann wüsste man, dass die irgendwann ausgehen, und hätt wenigstens eine kleine Hoffnung.« Doch in Wannes’ Nähe verstummte der Alleinunterhalter in

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