Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
der Hose.«
»Wirklich, ist das kein Gerücht?«
»Was man Nachrichtensprechern so nachsagt? Absolut nicht. Aber Mr. Stubbs hat mir schrecklich leidgetan. Das ist vielleicht der einsamste Mensch, dem ich je begegnet bin. Und das will bei mir und meinem Beruf etwas heißen.«
»War irgendwas unheimlich an einem von den dreien?«
»Eigentlich nicht. Die hatten mehr Angst vor mir als ich vor ihnen. Das ist fast immer so.«
Mollys Beobachtungen leuchten ein, aber O’Hara interessiert sich weniger für die Freier als für Lee. »Lee hat erzählt, Pena habe sich mit den drei Männern jeweils einmal verabredet und sei dann verschwunden«, sagt O’Hara. »Halten Sie es für möglich, dass Lee Pena im Verdacht hatte, ihre Kunden privat weiter zu treffen?«
»Drei Treffen und dann raus, würden Sie doch auch so machen, oder? Wir bezeichnen das als ›Wildern‹.«
»Hatte Lee irgendwelche Befürchtungen dahingehend?«
»Und wie. Wissen Sie, welche Verstümmelungen Pena zugefügt wurden?«
»Wieso?«
»Kurz nachdem ich bei Aphrodite angefangen hatte, schickte mir Lee ein widerliches Bild von einem Mädchen, das sie angeblich beim Wildern erwischt hatte.«
»Haben Sie das Bild noch?«
»Nein, aber ich werde es nie vergessen. Es zeigte ein weißes Mädchen Anfang zwanzig. Jemand hatte sich mit einem Teppichmesser an ihrem Gesicht zu schaffen gemacht. Es war von der Stirn bis zum Kinn zerschnitten und mit Hunderten schwarzer Stiche wieder genäht worden. Es wundert mich, dass sie nicht verblutet ist. Und mitten drin ihre toten, von Schmerzmitteln vernebelten Augen. Das wirkte. Falls ich in Versuchung gewesen sein sollte, Miss Lee zu hintergehen, ist mir danach die Lust komplett vergangen.«
Das Rivington Hotel liegt nur drei Straßenecken von eeL entfernt. Um zwei Uhr morgens ist das Metallgitter heruntergelassen und unter Lees Nummer meldet sich eine Automatenstimme: »Herzlichen Glückwunsch. Sie sind entweder sehr schlau oder haben Glück, denn Sie haben Aphrodite angerufen, die exklusive Agentur für einen exklusiven Geschmack.«
O’Hara nimmt einen Mülltonnendeckel und schlägt damit so lange gegen das Rollgitter, bis Lee mit einem Headset auf dem Kopf das Gitter hochzieht und die Tür aufschließt.
»Was hat Ihnen Molly erzählt?«
O’Hara ignoriert sie, zieht das Gitter von innen herunter und stößt Lee in das winzige Büro hinten im Laden.
»Klappen Sie ihn zu«, sagt O’Hara und deutet auf den Computer.
»Was ist los? Was hat sie gesagt?«
»Hat Ihnen Pena Klienten abgeworben?«
»Abgeworben?«
O’Hara knöpft sich den Mantel auf, damit Lee den Griff ihrer Waffe sehen kann.
»Nein, hat sie nicht.«
»Was hatten Sie dann im Privilege verloren?«
»Ich wollte sie zurückholen.«
»Indem Sie ihr nachstellen? Blödsinn.«
»Okay, vielleicht hat sie Kunden hinter meinem Rücken abgeworben«, sagt Lee ängstlich. »Ich kann’s nicht mit Sicherheit ausschließen.«
»Drohen Sie Ihren Mädchen damit, dass Sie ihnen etwas antun, wenn sie hinter Ihrem Rücken wildern gehen?«
»Nein.«
»Sie schicken ihnen keine Fotos von entstellten Mädchen?«
Lee setzt eine seltsame Miene auf und vergräbt das Gesicht in den Händen. »Wenn Sie das Bild sehen wollen, das kann ich Ihnen zeigen. Dazu muss ich aber an den Computer.«
Schon bald erscheint das Bild auf Lees Laptop, das Molly so treffend beschrieben hat. Das Gesicht des Mädchens ist noch schlimmer zugerichtet als das von Pena.
»War’s das?«, fragt Lee. O’Hara nickt und bekämpft ein flaues Gefühl im Magen. »Kaum zu glauben, dass Molly davon so viel Angst bekam.«
O’Hara sieht ihr über die Schulter, während Lee den Cursor ans untere Ende der Seite bewegt und auf den Namen der Website zeigt: www.rickyshalloweenmakeup.com .
37
»Putenbrust auf Kaiserbrötchen«, sagt O’Hara und der dunkelhäutige Mann mit den geränderten Augen hinter dem Tresen nimmt ihre Bestellung mit einem Lächeln entgegen, das so sanftmütig ist, wie man es um diese Uhrzeit nur auf den Gesichtern von Personen findet, die in einem anderen Land aufgewachsen sind. Während er ihr Sandwich belegt, mustert O’Hara die gekühlten Angebote hinten, darunter auch gelb, grün und orangerot eingefärbte Wassersorten mit Namen wie »Gelassenheit«, »Erholung« und »Energie«. Nach den Debakeln dieser Nacht könnte O’Hara von allen dreien ganze Fässer voll gebrauchen, entscheidet sich aber stattdessen doch für ein bernsteinfarbenes Wasser im Sixpack, ebenfalls
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