Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
kennt.«
» Wirklich faszinierend, diese Selbstsicherheit so kurz vor dem Tod. Sie gefallen mir. Wenn Mr. Zviman nicht so versessen darauf wäre, Sie lebend zu bekommen, würde ich Ihnen einen Gnadenschuss verpassen«, sagte er gutgelaunt. » Einfach aus Respekt.«
» Ich bin neugierig…«
» Wozu, wenn Sie sowieso bald sterben? Wozu sich noch mit irgendwelchen Details beschäftigen? Ich würde über die vielen Entscheidungen nachdenken, die Sie in diese Situation gebracht haben. Wir haben die Pflicht, aus unseren Fehlern zu lernen. Sie, zum Beispiel, sind einer meiner Fehler, und ich lerne aus Ihnen. Ich hätte gern einmal mit Ihnen zu Abend gegessen, Mila. Mich mit Ihnen unterhalten. Sie faszinieren mich. Sie und Zviman.«
Es interessierte sie nicht sonderlich, was er zu sagen hatte, doch sie wollte, dass er weitersprach. So würde er weniger auf das achten, was sie tat.
» Ich wüsste nicht, warum ich ein Fehler von Ihnen sein sollte«, erwiderte Mila. Der Handschellenschlüssel glitt ins Schloss. Wenn er jetzt bloß funktionierte. Eigentlich sollte er. Sie hatte eine hübsche Summe dafür gezahlt.
» Sie und Zviman sind zwei Seiten derselben Medaille, meine Liebe. Das Lustige ist, dass ich jetzt von meinem Fehler profitiere. Aber dafür räume ich auch das ganze Schlamassel auf. Ich war schon im Ruhestand. Ich hatte mein Haus in Florida und wollte nur noch Golf spielen und angeln. Da sollten einen eigentlich keine Fehler mehr heimsuchen, die man irgendwann mal begangen hat. Nicht so spät im Leben, nicht als Pensionär.«
Dieser Braun war ein Verrückter. Die Handschellen öffneten sich. Mila stieß einen leisen Seufzer aus.
» Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich bin keine Medaille.«
» Nein, Mila, Sie sind ein Edelstein. Für mich sind Sie Gold wert. Jetzt kann ich meinen Ruhestand erst richtig genießen, weil meine vergangenen Fehler bereinigt sind. Das wirkt sich bestimmt positiv auf mein Golfspiel aus.«
Sie zog das Handgelenk vorsichtig heraus, sorgfältig bedacht, kein klickendes Geräusch zu machen.
Jetzt der andere Absatz. Sie löste ihn und fand darin ein kleines Messer in einer Scheide. Sie zog die Scheide herunter und hielt die Klinge aus japanischem Stahl in der Hand. Die Fußfesseln bereiteten ihr sogar mehr Mühe als die Handschellen: Das Seil war nicht so leicht durchzuschneiden.
» Ich frage mich, warum Sie mich einen Fehler nennen, obwohl ich Sie noch nie gesehen habe. Sind Sie vielleicht mein Vater, den ich als Kind verloren habe, Mr. Braun?«
» Nicht biologisch, aber in gewisser Weise bin ich Ihr Vater, das stimmt.«
Okay, dachte sie, völlig durchgeknallt. » Sie beantworten eine Frage nie ganz direkt«, sagte sie. » Sie müssen von der CIA sein. Sie sprechen genauso ausweichend wie Sam.«
» Ja, er ist das Problem, nicht wahr? Der Kern des Problems.«
Sie spürte, wie der Van langsamer wurde und abbog. Sie waren sonst geradeaus in nördlicher Richtung gefahren.
» Wir sind da, Mila. Da, wo alles begann«, sagte er. » Wo es ins Leben gerufen wurde.«
Er hielt den Van an.
» Dann beeilen wir uns mal«, fügte er hinzu. » Ich will nicht zu spät kommen.«
Er stieg aus und knallte die Tür zu.
Mila wand sich und versuchte verzweifelt, die Stricke durchzuschneiden. Ihr blieben vielleicht acht Sekunden, bis Braun die Heckklappe öffnete.
Nicht genug Zeit.
88
Die Kinderstube
» Leonie.« Mein Blick sprang zwischen der Pistole und dem Baby hin und her. » Was soll das?«
Sie weinte, die Tränen liefen ihr über die Wange. » Es tut mir leid. Ich kann ihn dir nicht geben.«
» Das ist Daniel. Wo ist dein Kind?«
Sie sah Daniel an. Er gluckste und drückte sich an sie, als würde er sich an ihren Geruch erinnern.
Ich schüttelte den Kopf. » Nein. Nein.«
» Er gehört zu mir. Er hat immer nur mich gehabt, er kennt niemand anderes«, sagte sie. » Er ist nicht mehr dein Sohn. Er heißt Daniel Taylor Jones. Manchmal nenne ich ihn Dat, das gefällt ihm. Wenn ich sage: › Wo ist mein Dat?‹, dann lacht er.« Wieder kamen ihr die Tränen, doch ihr Mund wirkte entschlossen.
» Er ist mein Sohn«, erwiderte ich, und sie richtete die Pistole auf meine Brust. » Okay, okay«, fügte ich hastig hinzu und hob die Hände. » Leonie, wir können in Ruhe darüber reden.«
» Nein. Es gibt nichts zu reden. Ich verschwinde. Mit meinem Sohn.«
» Das Kind auf dem Foto, das du mir gezeigt hast…«
» Das war mein erstes Kind. Meine Tochter. Ich musste weg… weg von Ray
Weitere Kostenlose Bücher