Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
Nummer.
» Hallo?«
» Hallo, Leonie. Wie geht es Ihnen?« Eine freundliche Frauenstimme, die sie kannte. Anna Tremaine.
» Wo? Wo?«, schluchzte sie ins Telefon.
» Oh, vermissen Sie jemanden? Junge Mütter sind manchmal so vergesslich.«
» Wo ist mein Baby?!«, schrie sie. Die Angst war weg, da war nur noch nackte Wut.
Annas Stimme klang ganz ruhig. » Ich versichere Ihnen, Ihrem Kind geht es gut.«
Ein heiseres Stöhnen entrang sich Leonies Kehle.
» Hören Sie mir zu, Leonie?«, fragte Anna. » Es ist mühsam, wenn ich alles zweimal sagen muss.«
» Warum haben Sie das getan? Warum?«
» Weil Sie etwas sehr Wichtiges für mich tun werden, und das sofort, ohne lange Diskussionen.«
Leonie zwang sich, ruhig zu bleiben. » Was wollen Sie?«
» Sie sind so gut darin, Leute für uns zu verstecken, Schätzchen, aber können Sie es auch andersrum? Können Sie jemanden für uns finden, der sich versteckt?«
» Ja«, sagte Leonie. Es war keine andere Antwort denkbar. Um Taylor wiederzubekommen, würde sie alles tun.
» Okay. Falls Sie gerade einen anderen Klienten haben, vergessen Sie ihn.«
Sie dachte an Gunnar, der dringend von der Bildfläche verschwinden musste. Doch er konnte sich ohnehin nicht für einen Ort entscheiden, also sollte er sehen, wo er blieb. Er würde eben warten müssen. » Okay. Bitte, tun Sie Taylor nichts. Bitte.«
» Reißen Sie sich zusammen. Ich brauche Sie ruhig und konzentriert.«
» Sie hätten doch einfach fragen können! Sie hätten mich fragen können, ob ich Ihnen helfe! Sie wissen genau, ich würde… ich hab schon so oft…«
» Ich brauche Gewissheit, dass Sie’s tun«, fiel ihr Anna ins Wort.
» Ich tu alles, was Sie wollen.«
» Sie werden mit einem Mann zusammenarbeiten. Er ist genauso wie Sie sehr motiviert, gute Arbeit für uns zu leisten.«
» Ich arbeite nicht mit anderen zusammen.«
» Diesmal werden Sie, Leonie. Es sei denn, Sie wollen selbst den Abzug drücken und einen Mann erschießen. Sie müssen die Zielperson nur finden. Dieser Mann wird das Ziel töten. Danach bekommen Sie Taylor zurück. Ganz einfach.«
Panik stieg in ihr hoch. Sie sank auf die Couch. Okay, dachte sie, die Lage ist nun mal so. Erst mal tief durchatmen. » Welchen Mann soll ich finden, und mit wem arbeite ich zusammen?«
» So hab ich’s gern: ruhig bleiben und kooperieren«, sagte Anna. » Für Sie ist es ja kein Problem, kurzfristig eine Reise zu planen. Sie treffen sich mit ihm am Flughafen. Er heißt Sam Capra. Er sagt Ihnen dann genau, worum es geht.«
» Anna, geht es Taylor gut?«
» Ausgezeichnet. Ihr Baby schläft friedlich auf einer Decke.«
Leonie spürte, wie ihr die Angst durch und durch ging. Sie zwang sich, aufmerksam zuzuhören. Anna oder einer ihrer Leute musste Taylor irgendwann in den letzten zwei Stunden geholt haben, als sie gerade in die Arbeit vertieft gewesen war oder am Schreibtisch geschlafen hatte. Das bedeutete, Anna befand sich vielleicht noch in Las Vegas oder saß gerade im Auto. Sie lauschte am Telefon nach irgendwelchen Geräuschen, die ihr verraten hätten, wo Anna sein könnte. Falls sie irgendwo angehalten hatte, musste es doch Verkehrsgeräusche geben, vielleicht ein vorbeirollender Lastwagen. Es war nichts zu hören. Leonie ärgerte sich über sich selbst, dass sie nicht früher darauf geachtet hatte, doch der Schock hatte sie gelähmt. In Gedanken versuchte sie, das Gespräch noch einmal abzuspulen und sich jede Kleinigkeit in Erinnerung zu rufen. Denn falls sie tat, was man von ihr verlangte, und ihr Kind trotzdem nicht zurückbekam, gab es nur noch eine Person, die sie finden würde: Anna Tremaine. Um sie zu töten.
» Sie können sich darauf verlassen, dass Ihrem Baby kein Haar gekrümmt wird«, sagte Anna in babyhaftem Singsang. » War ich nicht immer nett zu Ihnen? Schauen Sie unter der E-Mail-Adresse nach, die wir immer benutzt haben. Dort finden Sie weitere Details und Anweisungen. Packen Sie Ihre Reisetasche, es wird ein paar Tage dauern. Und machen Sie Ihren Job so perfekt wie immer. Für Ihr Kind.« Im nächsten Augenblick war die Verbindung getrennt.
Weitere Anweisungen? Leonie stand auf und hastete zum Laptop.
16
Las Vegas
Ich eilte zum Ticketschalter am McCarran International Airport, als mir eine Frau entgegentrat. Sie war von zierlicher Statur, hatte rotbraunes Haar, einen vollen Mund und violett verschmierte Augen. Bekleidet war sie mit Jeans und einer grünen Bluse, und sie trug eine dünne Aktentasche und eine
Weitere Kostenlose Bücher