Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
sich trotzdem mit dir zu treffen.« Im nächsten Augenblick wurde ihr alles klar. » Daniel. Sie hat dir einen Deal vorgeschlagen, mit dem du Daniel bekommst.«
» Das ist jetzt mein Problem«, wiederholte ich. » Danke für alles. Ich weiß, du meinst es gut.«
» Mach das nicht allein. Was musst du dafür tun? Gott, lass mich dir helfen.«
» Ich kann’s dir nicht sagen. Sie bringt ihn sonst um.« Ich konnte nur mit Mühe verhindern, dass meine Stimme brach.
» Sam.« Es lag so viel in der einen Silbe. Der Schmerz, den sie nachfühlte, der Wunsch, mir zu helfen, und eine glühende Wut.
» Ich halte mich an ihre Spielregeln, das heißt, sie dürfen dich nicht bei mir sehen. Geh, Mila, bitte. Es tut mir leid.« Das an- und abschwellende Geheul von Polizeisirenen tönte durch die Nacht. In der leeren Bar war es nun still. Die Luft fühlte sich bleischwer an zwischen uns. » Ich muss los. In zwei Stunden geht mein Flugzeug. Wenn du mir helfen willst, kümmere dich um die Bullen. Oh, und hinter dem Einkaufszentrum liegt ein Plastiksprengsatz bei einem Müllcontainer. Nimm ihn bitte mit. Ich darf das Zeug nicht hier herumliegen lassen.«
» Sam.« Ihr Mund zitterte. » Was sollst du für sie tun?«
» Es hängt nicht mit dir zusammen«, erwiderte ich entschieden. Ihr Gesicht war wie versteinert. Das war die Frau, die mir die CIA vom Leib gehalten hatte, während ich die Entführer meiner Frau jagte. Sie hatte mich in meinem neuen Leben in jeder Weise unterstützt und eine ehrliche Antwort verdient. » Sie wollen, dass ich jemanden umbringe.«
» Wen?«
» Jemanden, der eine Bedrohung für sie ist.«
» Du begehst einen Mord, um deinen Sohn zu retten. Und was dann? Vielleicht verlangen sie das Gleiche noch tausendmal von dir. Sie können dir tausend Lügen erzählen, tausend Versprechungen machen, und du bist ihr Sklave, weil du dein Kind retten willst.«
Ich konnte nicht mehr atmen. » Du brauchst mir keine Vorträge zu halten. Ich tu einfach, was ich tun muss.«
» Dann geh. Geh, bevor die Bullen mit dir sprechen wollen.« Mila wartete nicht auf meine Antwort. Sie eilte an mir vorbei zur Tür hinaus, den eintreffenden Polizeiwagen entgegen.
Ich stand zwischen umgestürzten Stühlen und halbvollen Drinks in der unheimlichen Stille einer Bar, aus der binnen weniger Minuten alle Gäste verschwunden waren.
Ich musste zum Flughafen. Ich musste nach New York und diesen Jin Ming finden und töten, um meinen Sohn zu retten.
15
Henderson, Nevada
Leonie öffnete die Augen und blinzelte. Sie war am Schreibtisch eingeschlafen, und ihr Gesicht fühlte sich etwas zerknittert an. Na toll, dachte sie und wischte sich ein wenig Speichel von der Wange. Der Computer spielte immer noch den Soundtrack von Rent. Zurzeit hörte sie am liebsten Songs, die eine Geschichte erzählten. Ihre iTunes-Sammlung war voll mit Musicals und Filmsoundtracks. Sie drückte die Leertaste, und die Stimmen, die sie beschworen, ganz im Augenblick zu leben, verstummten. Sie blinzelte erneut in der plötzlichen Stille und zwang sich wachzubleiben.
Mein Gott, was ist nur mit mir los? Es war schon das vierte oder fünfte Mal in dieser Woche, dass sie bei der Arbeit einschlief. Langsam wurde das zu einer schlechten Gewohnheit. Ihr Tag hatte heute früh begonnen.
Leonie schaute auf die Uhr. Sie war eingenickt, nachdem sie das Baby schlafengelegt hatte. Es war kurz vor zehn Uhr abends. Die Erschöpfung machte sich eben bemerkbar. Sie trug noch T-Shirt und Jeans, als sie vom Schreibtisch in einem Winkel des Schlafzimmers aufstand, sich auszog und in ihren dünnen Baumwollpyjama schlüpfte. Sie putzte sich die Zähne und wischte sich den Schlaf aus den Augen.
Jetzt würde sie vielleicht nicht mehr einschlafen können, und das Baby schlief sicher die ganze Nacht durch. Okay,sie konnte natürlich etwas Arbeit erledigen. Leonie war früh draufgekommen, dass man als Mutter jede einzelne Sekunde nutzen musste.
» Schätzchen«, hatte ihre wohlmeinende achtzigjährige Nachbarin Mrs. Craft zu ihr gesagt, » nehmen Sie sich ein Kindermädchen. Sie können sich’s doch bestimmt leisten«, hatte sie mit einem Blick auf die Granit-Arbeitsplatte und den Perserteppich auf dem makellosen Hartholzboden hinzugefügt.
» Ich will niemand Fremden im Haus haben«, hatte Leonie geantwortet.
» Wenn Sie ein Kindermädchen erst mal kennen, wär sie ja keine Fremde mehr.«
Leonie hatte nur mit den Schultern gezuckt, anstatt zu sagen, was sie dachte: Ich darf das
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