Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
Schock saß bestimmt noch tief. » Was haben Sie mit Anna zu tun?«
» Das geht Sie nichts an, Sam. Ich kenne Sie nicht. Ich will einfach nur mein Kind zurück, das ist alles.« Sie rieb sich die Wange und schaute auf die Uhr. Sie vermied es, mir ins Gesicht zu sehen. Ihre Tochter war vor wenigen Stunden entführt worden. Ihre Selbstbeherrschung war erstaunlich. Ich streckte den Arm aus und berührte ihre Hand mit den Fingerspitzen. Sie zuckte zusammen.
» Wir stehen auf derselben Seite. Ich kann mir vorstellen, wie es Ihnen geht. Sie haben meinen Sohn.«
» Das hat mir Anna gesagt.« Sie schaute in ihr Weinglas. » Müssen wir unbedingt reden– ich meine, außer über Jin Ming?«
Mir kam der Gedanke, dass Anna sie geschickt haben könnte, um mir auf die Finger zu schauen und sich zu vergewissern, dass ich Jin Ming tötete und nicht versuchte, ihn als Druckmittel gegen Novem Soles zu benutzen. Ich wusste nicht, ob sie wirklich ein Kind hatte, das heute Nacht entführt worden war. Möglicherweise war sie einfach nur eine überzeugende Schauspielerin. Vielleicht war ihre ganze Geschichte gelogen. Aber mit Verdächtigungen würde ich nicht viel bei ihr erreichen. Es war das Beste, wenn ich sie wie die verzweifelte Mutter behandelte, die sie zu sein behauptete.
» Doch, wir müssen reden. Ich weiß, wie Sie sich fühlen, weil es mir genauso geht. Und wir müssen einander vertrauen, sonst werden wir bei unserer Suche nicht weit kommen.«
Sie sah mich skeptisch an. » Ich sag Ihnen, wo das Ziel ist. Sie töten das Ziel. Mehr haben wir nicht zu besprechen.« Sie nahm noch einen Schluck Pinot.
» Leonie…«
» Hören Sie, das ist der schlimmste Tag in meinem Leben. Und Sie sind ein Typ, der Leute umbringt. Also will ich Sie gar nicht näher kennen. Ich will nicht Ihr Freund sein oder Ihrer Selbsthilfegruppe für Eltern von entführten Kindern beitreten. Ich will nur meine Taylor wiederhaben.« Sie griff erneut nach dem Weinglas und blickte an meiner Schulter vorbei auf die laute Gruppe in der gegenüberliegenden Ecke. » Wenn diese Arschlöcher in unserem Flugzeug sitzen, schlag ich heute noch jemanden k.o.«
Ein Typ, der Leute umbringt. Eine Beschreibung, mit der ich mich so gar nicht anfreunden konnte. Doch jetzt war nicht der Moment, sie davon zu überzeugen, dass ich kein brutaler Killer war. Es würde eine Weile dauern, ihr Vertrauen zu gewinnen. » Diese Zielperson. Was können Sie mir über den Mann sagen? Was weiß er über Novem Soles?«
» Keine Ahnung.« Sie zuckte nicht mit der Wimper, als sie den Namen der Gruppe hörte: Sie kannte ihn also.
» Aber Sie müssen doch etwas über ihn wissen, schon allein um ihn zu finden und vorherzusehen, wo er hingehen wird.«
» Sie haben nichts anderes zu tun, als ihn zu töten.« Sie stellte das Weinglas entschieden auf den Tisch. » Sie sind die Kugel, ich das Gehirn. Ich sag Ihnen, wo Sie hinschießen müssen. Die Kugel braucht nichts zu wissen, außer wo ihr Ziel ist.«
Okay. » Hat Anna Ihnen gedroht, Ihrer Tochter etwas zu tun, falls Sie mir mehr erzählen?«
» Ich würde sagen, eine Entführung ist schon Drohung genug. Ich… kenne Anna. Kinder sind für sie nur eine Ware. Produkte, die andere herstellen und mit denen sie Gewinne erzielt. Wenn wir nicht alles tun, was sie von uns verlangt, wird sie unsere Kinder umbringen oder verkaufen, und wir sehen sie nie wieder.«
Wollte sie mich provozieren? Um zu sehen, wie ich reagierte? Ich musterte ihr Gesicht. In ihren Augen sah ich Intelligenz und eine grimmige Entschlossenheit. Ich beugte mich vor.
» Ist Ihnen schon einmal der Gedanke gekommen, dass wir unsere Kinder vielleicht trotzdem nicht zurückbekommen? Wir haben null Garantie, dass sie sich an die Abmachung hält. Wir müssen uns irgendwie absichern. Zum Beispiel indem wir ihr Ming lebend anbieten– im Tausch gegen unsere Kinder.«
» Jetzt hören Sie mir gut zu.« Leonie zeigte mit dem Finger auf mein Gesicht. » Legen Sie sich ja nicht mit Anna an. Wenn wir vom Plan abweichen, bringt sie unsere Kinder um.« Und im Flüsterton fügte sie hinzu: » Wir tun genau das, was sie gesagt hat. Falls Sie etwas anderes versuchen… nein, das werden Sie nicht.«
» Würden Sie mich töten, um mich dran zu hindern?«
» Ich tu alles für mein Kind. Alles.« Wir schauten uns hart in die Augen.
» Wir stehen auf derselben Seite«, wiederholte ich.
» Das ist Wahnsinn. Bitte, Sam. Versuchen wir, irgendwie miteinander auszukommen. Uns bleibt nichts anderes
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