Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
wusste. Vielleicht hatte sie einen Blick darauf geworfen, während Jin Ming duschte oder schlief.
» Es war ein Notizbuch«, sagte sie schließlich. » Wie ein Tagebuch. Roter Ledereinband.«
» Und was steht in dem Notizbuch?«
» Alles Mögliche. Da waren Fotos, E-Mails, Kostenabrechnungen. Ausgedruckt und eingeklebt. Aber ich hab keine Ahnung, worum es ging. Er sagte, Nic hätte die Sachen von Leuten gestohlen, die Sie erpresst hätten.«
Der Mund des Beobachters zuckte. » Hat er das Notizbuch digitalisiert?«
» Hier jedenfalls nicht. Das hätte eine Weile gedauert.«
Er musste ihr den Computer wegnehmen, um ihn zu analysieren. Vielleicht hatte Jin Ming eine Spur darauf hinterlassen, der man folgen konnte. Der Beobachter beschloss, sofort nach New York zu reisen.
» Entschuldigen Sie mich bitte, Ricki.« Er klappte sein Handy auf und befahl dem Mann am anderen Ende, zu Rickis Adresse zu kommen. » Einen Moment«, fügte er hinzu und deckte das Handy mit einer Hand ab. Zu Ricki gewandt sagte er: » Ich mache Ihnen folgendes Angebot, und es tut mir leid, dass es kein besserer Deal für Sie ist: Meine Gruppe übernimmt Ihr Geschäft. Sie leiten es weiter, doch wir behalten fünfzig Prozent des Gewinns. Falls Sie Ihre Sache gut machen, helfen wir Ihnen, Filialen in Brüssel und Antwerpen zu eröffnen. Ich lasse ein paar Leute herkommen, die Ihre Computer checken. Ich will sicher sein, dass Sie mir die Wahrheit sagen. Dann lassen wir Sie in Ruhe.«
» Das können Sie nicht machen«, erwiderte sie geschockt.
» Aber sicher kann ich das. Wenn Sie sich weigern oder uns betrügen, wird einer meiner Leute Sie mit Heroin vollpumpen und an einen Mädchenhändler ausliefern. Der wird Sie vergewaltigen und verkaufen, wahrscheinlich an ein Bordell in Nigeria oder Marokko oder Südostasien. In Asien wäre es noch vergleichsweise angenehm. Ein Mädchen aus dem Senegal würde man als Exotin wahrscheinlich besser behandeln.«
Sie starrte ihn sprachlos mit zitterndem Mund an.
Er zeigte auf sein Handy. » Ich warte.«
» Verpissen Sie sich!«
Er stand auf und schlug sie hart ins Gesicht. Sie fiel auf einen Stapel gefälschter SpongeBob- DVD s, die sich über den ganzen Fußboden verstreuten.
» Feindliche Übernahme oder Heroin und Arbeit im Hurenhaus. Entscheide dich, du Miststück. Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.«
Sie blickte zu ihm auf, ihr Mund zitterte. » Feindliche Übernahme.«
» Das ist die richtige Entscheidung. Du wirst sehen, ich behandle meine Angestellten gut. Es sei denn, du betrügst mich. Dann wirst du dir wünschen, du könntest dich umbringen, weil der Tod noch das geringste Übel wäre.«
Er klappte sein Handy auf und machte einen weiteren Anruf. » Bring jemanden mit, der sich mit Computern auskennt. Ich will wissen, welche Fotos hier gescannt und welche E-Mails weggeschickt wurden, oder ob etwas davon gelöscht wurde. Halt Ricki vom System fern.« Er hörte einen Moment lang zu. » Nein, Mann, du darfst sie nicht vergewaltigen, wenn du fertig bist. Benimm dich ordentlich, ja?« Er zwinkerte Ricki zu. » Sie ist jetzt eine von uns.«
Er beendete das Gespräch. » Ich denke, Jin Ming wird wissen, dass du ihn verpfiffen hast, sobald wir ihn geschnappt haben. Bis dahin lass ihn glauben, dass du ganz auf seiner Seite bist. Falls er anruft, sagst du ihm nichts. Wenn du ihn warnst, ändert sich unser Deal.« Er tätschelte ihren Kopf, und sie zuckte zusammen.
Er fuhr zum Flughafen Schiphol, um den nächsten Flug nach New York zu nehmen.
Ein Notizbuch. Es gab so vieles, das ihm gefährlich werden konnte, doch ausgerechnet ein stinknormales Notizbuch stellte im Moment die größte Bedrohung dar.
21
Claiborne Hotel, Manhattan
Ich schreckte aus dem Schlaf hoch. Ich war auf dem Bett in den Kleidern eingeschlafen, die Erschöpfung hatte meine rastlosen Gedanken schließlich doch überwunden. Ich hasse es, angezogen zu schlafen; hinterher spürt man den Schlaf irgendwie noch in den Kleidern. Es klopfte ein zweites Mal. Ich hatte das » Bitte nicht stören«-Schild an die Tür gehängt. Rasch griff ich nach meiner Pistole, ehe mir einfiel, dass ich keine hatte. Es war zu umständlich, mit einer Waffe zu reisen. Ich würde mir später in der Last Minute Bar eine holen.
» Sam, ich bin’s.« Leonies Stimme.
Ich schaute auf die Uhr. Zehn Uhr vormittags. Ich stand auf und öffnete die Tür.
» Bestellen Sie bitte Kaffee und Frühstück für uns in Ihr Zimmer. Ich will nicht, dass das Zimmermädchen
Weitere Kostenlose Bücher