Die letzte Nacht
gerade. Aber er hatte einen Alternativplan für den Fall, dass etwas schiefgeht. Er hat Filippo genaue Anweisungen gegeben.«
»Und wie will er die drei Männer loswerden, die ihn begleiten? Laut Elton sind sie während des Überfalls mit Pistolen eingedrungen. Salviati hat keine Pistole …«
»Ich weiß nicht, nicht mal Filippo weiß es. Er wird sich irgendeinen Trick überlegt haben.«
»Einen Trick, ja. Das ist es, was mich beunruhigt.«
Filippo Corti fuhr zügig. Er wollte möglichst zeitig den vereinbarten Treffpunkt erreichen. Er wusste nicht, was in der Bank geschehen war, aber er hatte getan, was er tun sollte. Er hatte Salviati mit diesen drei Männern herauskommen sehen und hatte sie bis zur Autobahnauffahrt verfolgt. Dann war er auf der Kantonsstraße Richtung Süden gefahren.
Bis zu diesem Tag hatte Filippo noch nicht erlebt, was es heißt, wirklich zu agieren. Man kann sich die gefährlichsten Situationen ausmalen, darüber lesen oder sie im Film sehen. Aber der Augenblick der Aktion ist unbeschreiblich. Eine absolute Denkweise, die jeder Handlung Notwendigkeit verleiht. Keine Zweifel mehr und keine Unentschlossenheit: Du tust das, was du tun musst. Natürlich hatte er in seinem Leben schon unter Spannung gestanden: Prüfungen, schlechte Nachrichten, Liebeskummer. Aber das war etwas anderes.
Hin und wieder drängten sich ihm jedoch ein paar Fragen auf. Es war das Schuldgefühl, das aus der Tiefe emportauchte. Immerhin half er nicht länger Geld zu stehlen, sondern stand Salviati zur Seite. Und wenn die drei gemeinsame Sache mit ihm machten? Nein, ausgeschlossen. Forster musste sie geschickt haben. Und warum nahmen sie dann nicht einfach das Geld und Schluss? Forster wollte das Geld, er wollte niemandem etwas Böses … oder doch?
An diesem Punkt brachen Filippos Gedanken ab, und die Aktion gewann erneut die Oberhand. Fahr nicht zu schnell, aber versuche trotzdem, möglichst zeitig zu kommen. Wenn du angekommen bist, park den Wagen im Gebüsch und lass den Motor laufen. Pass auf, dass du keine Zeit verlierst. Hinter Cadenezzo musste Filippo jedoch das Tempo drosseln.
Der Monte Ceneri zeigte sich an diesem Morgen von seiner hässlichen Seite. Dunkle Felsen, der Schatten hochgelegener Wälder. Kahles Land, Straßen ohne eine Menschenseele. All das schien ein schlechtes Omen. Filippo war von seinem Handeln so in Anspruch genommen, dass ihn diese Eindrücke kaum berührten. Er musste auf den Nebel achten.
Er begann hinter den ersten Kurven. Wie eine fließende Mauer. Plötzlich wurde die Straße aufgesaugt. Als sei die Gegend noch nicht erschlossen. Irgendwo waren noch die Überreste des alten Maultierpfades. Die Straße lag zwei Schritte davon entfernt, aber vom Nebel verschluckt.
Filippo fuhr langsamer. Er beschloss, ein paar Sekunden anzuhalten. Zeit, um einen Blick auf das Handy zu werfen. Nach dem Telefonat mit Francesca hatte er den Klingelton abgestellt. Zwei verpasste Anrufe von Contini. Er hatte eine SMS geschickt.
LINA IST FREI. ES GEHT IHR GUT. RUF MICH AN.
Knappe Worte, wie immer. Filippo versuchte, ihn zurückzurufen, aber es war besetzt. Immerhin war Lina frei! Eine gute Nachricht. Jetzt musste man nur noch mit Forster einig werden. Filippo hoffte, dass alles gut gehen würde und sie sich bei ihm daheim zum letzten Akt treffen konnten.
An einem bestimmten Punkt begann Salviati zu sprechen. Sorgfältig wählte er den Augenblick. Er verlor kein überflüssiges Wort, versuchte, sich klar zu fassen und nicht nur Jonathan, sondern auch den beiden andern, verständlich zu machen, was er zu sagen hatte.
Er rechnete damit, dass sie heftig reagieren, ihn malträtieren würden. Angesichts der Situation war es aber auch möglich, dass sie sich entschlossen, die Angelegenheit schnell zu beenden. Alles deutete darauf hin. Sie hielten an der Ausfahrt nach Rivera, um Salviati auf den Zahn zu fühlen. Er spielte sein Spiel und sie mussten mitspielen. Am Anfang hätte einer der beiden anderen ihn beinahe geschlagen. Aber Jonathan hielt ihn zurück. Jonathan überließ nichts dem Zufall.
Schweigend fuhren sie weiter. Sie setzten ihren Weg auf der vom Nebel verschluckten Kantonsstraße fort. Die Bäume am Straßenrand sahen aus wie Schreckensgestalten aus einem Traum. Einem jener von wirren Bildern beherrschten Alpträume. Wie die, die Salviati im Gefängnis hatte, im Morgengrauen, kurz vor dem Erwachen.
Bald würden sie ankommen. Jonathan fuhr langsam. Er hatte keine Eile. Er hatte die Situation
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