Die letzte Nacht
dass ein Mikrofon unbedingt notwendig gewesen wäre, aber man konnte nie wissen. Dann hielt er nach einer Steckdose für das Netzteil Ausschau. Er fand eine hinter einem Bücherregal. Von dort führte ein Kabel zu einer Lampe, die auf einem Tischchen neben einem massiven Ledersessel am Fenster stand. Er fügte eine Doppelsteckdose ein.
Inzwischen war Koller beinahe eingeschlafen. Er brachte gerade noch so viel Energie auf, um Viola vorzuschlagen, nach oben zu gehen. Sie willigte geschmeichelt ein, erklärte aber, zuvor noch einen Whiskey trinken zu wollen.
Das Netzteil hatte einen europäischen Stecker mit zwei Kontaktstiften, der aber auch in die Schweizer Steckdose mit der Erdung passte. Als Salviati fertig war, löste er das Seil, das er um den Gürtel gewickelt hatte. Die Videokamera war sendebereit, nun begann der heikelste Teil der Operation. Salviati öffnete das Fenster und befestigte das Seil an der Halterung des Rollladens. Dann schwang er sich aufs Fensterbrett. Mit den Füßen an der Mauer, die Hände am Seil, stieg er eilig hinab. An den Fenstern im ersten Stock befand sich keine Alarmanlage, im Garten auch nicht. Aber von der Straße aus hätte ihn jemand sehen können. Salviati blieb stehen und lauschte. Nichts. Nur Continis Wagen auf der anderen Straßenseite, kaum erkennbar im Regen. Salviati richtete sich auf. Sein Atem ging rasch.
In der Provence hielt er sich durch Gartenarbeit und Pétanque in Form. Aber in ein Privathaus einzubrechen ist eine ganz andere Art von Sport. Eilig überquerte er die Straße, öffnete die Wagentür und setzte sich neben Contini. Er rang nach Luft und sagte:
»Hau’n wir ab.«
Contini ließ den Motor an und fuhr los. Nach einiger Zeit fragte Contini:
»Und Viola?«
»Sie weiß, was sie tun muss«, antwortete Salviati. »Sie hat alles unter Kontrolle.«
»Aber hättet ihr nicht zusammen rauskommen sollen?«
»Mehr oder weniger. Koller wird jetzt einschlafen. Viola wird das Seil aus dem Büro holen und alle Spuren im Haus beseitigen. Dann wird sie Koller wecken, der noch benommen ist, und ihm sagen: Du bist betrunken, ich will nach Hause. Er wird sie rauslassen und sie sich ein Taxi nehmen.«
»Und wenn er morgen irgendwas merkt?«
»Was denn? Wir haben nichts gestohlen! Außerdem weiß er nicht, wie er Viola aufspüren soll.«
»Hm.« Contini fuhr vorsichtig und streckte den Kopf vor, um bei dem Regen die Straße besser im Blick zu haben. »Hast du die Kamera gut versteckt?«
»Er wird sie nicht finden. Übrigens, wenn du dreihundert Meter vom Haus entfernt einen guten Halteplatz findest, können wir einen Test machen. Dann zeig ich dir, was du in den nächsten Tagen zu tun hast.«
Contini seufzte.
»Zu Befehl …«
Während Contini nach einem Parkplatz suchte, schaltete Salviati sein Handy wieder ein. Wenige Sekunden später klingelte es. Salviati betrachtete es misstrauisch.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Du hast eine SMS bekommen«, erklärte Contini. »Lies mal vor …«
23
Rückkehr in ein asiatisches Land
… und deshalb bin ich nochmals ins Bavonatal zurück und bin zwei Tage lang alle Wege rings um Sonlerto abgelaufen. Ich glaube, ich habe sie schließlich gefunden, diese Hütte. Aber sie stand leer. Falls sie Linas Hilferuf entdeckt haben, sind sie wohl in ein anderes Versteck umgezogen.
Wir haben jetzt keinerlei Anhaltspunkte mehr. Die Hütte wurde gereinigt, sie wirkte, als sei sie seit Wochen unbewohnt. Wir waren so dicht dran. An diesem Punkt habe ich, wie gesagt, meine Recherchen eingestellt.
Jean hat recht: Uns bleibt nichts übrig als dieser Bankraub.
Es ist September. Deshalb sind, laut Jeans Kontaktmann, bei der Junker-Bank alle Passworte von Koller ausgetauscht worden, die er braucht, um sich Zugriff auf Informationen über seine Kunden zu verschaffen.
Ich schreibe übrigens aus Zürich, wo ich rund um die Uhr mit der Überwachung von Kollers Privatbüro beschäftigt bin. Die Minikamera, die Jean versteckt hat, funktioniert. Sobald wir das Passwort rausgekriegt haben, muss Viola erneut in Erscheinung treten, um während einer weiteren Inszenierung die Videokamera aus dem Arbeitszimmer entfernen zu können. All das kostet Forster eine Stange Geld. Gestern hat er tatsächlich bei Jean angerufen und ihm gesagt, er möge sich beeilen. Aber was sollen wir machen?
Anna und Filippo Corti, die Freunde von Jean, betrachten das Ganze als willkommene Abwechslung, ihnen ist nicht klar, wie ernst die Lage ist. Mit Francesca spreche ich
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