Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Eindruck, dass eine geheime Botschaft zwischen ihnen ausgetauscht wurde. Dann sah Bruder Richard zu mir herüber, holte tief Atem und bat uns mit einer Geste ins Zimmer.
Kapitel 20
Wir verneigten uns vor der Priorin. Sie saß hinter einem schweren Eichentisch, der den Raum beherrschte. Ich schaute mich verstohlen um. Als ich das letzte Mal hier gewesen war, hatte die Priorin Elizabeth noch gelebt. Abgesehen von dem Tisch und einigen Stühlen war das Zimmer leer; es gab keine Bücherschränke und keine Truhen. Keinen Ort, wo man einen Wertgegenstand hätte verstecken können.
»Ich habe Euch rufen lassen, um Euch mitzuteilen, dass wir Gäste im Kloster haben werden«, eröffnete die Priorin das Gespräch.
Bruder Richard schnaubte leise und wandte sich ab, als wollte er nichts weiter davon hören. Er ging zum Fenster und schaute auf die weite Wiesenlandschaft hinaus. Die Priorin presste die Lippen zusammen.
»Lord Chester, unser Nachbar«, sagte sie dann, »wird in neun Tagen das Kloster besuchen.«
»Schwester Christinas Vater?«, fragte Bruder Edmund.
»Richtig.« Ich vernahm ein schwaches Klick, Klick, Klick unter dem Tisch. Ich wusste, was das war. Die Priorin trug an einem Kettchen um ihren Arm einen silbernen Bisamapfel, der mit süß duftenden exotischen Gewürzen gefüllt war. Schwester Agatha hatte mir erzählt, dass die Gewürze aus dem Orient stammten. Wenn die Priorin nervös war, schlug sie oft den Bisamapfel gegen das Kettchen.
»Lord Chester wünscht zu Allerseelen nach Dartford zu kommen«, fuhr sie fort. »Am Abend wird wie gewöhnlich die Heilige Messe zu Ehren der Toten gefeiert – natürlich nur für Angehörige des Klosters. Aber am Nachmittag, vor der Messe –« Sie hob den Kopf. »Vor der Messe werden wir ein Festmahl zum Gedenken an die verstorbenen Seelen abhalten, zu dem Lord Chester und seine Gemahlin geladen sind.«
Ich wollte meinen Ohren nicht trauen. Ein Festmahl – innerhalb der Klostermauern?
»Was für ein Festmahl, Priorin?«, fragte ich.
»Das Übliche«, fuhr sie mich kurz an. »Speisen, Getränke, Musik.«
Bruder Edmund und ich schwiegen bestürzt. Das Klicken des Bisamapfels wurde schneller.
Schließlich fragte Bruder Edmund: »Darf ich erfahren, aus welchem Anlass dieses Festmahl stattfinden soll?«
»Ha!« Bruder Richard wandte sich vom Fenster ab. »Weil Lord Chester darum gebeten hat. Und mit einem Höfling, der so hoch in der Gunst des Königs steht, dürfen wir es uns doch keinesfalls verscherzen.«
Die Priorin sagte: »Bruder Richard, noch eine solche Bemerkung, und Ihr werdet Kloster Dartford augenblicklich verlassen. Bischof Gardiner wird Euch ein anderes Obdach suchen müssen.«
Ihre Wangen glühten hochrot, als sie Bruder Richard ansah. Er hielt ihrem Blick einen guten Moment lang stand, dann senkte er die Lider.
»Lord Chester ist der Vater unserer ältesten Novizin, es ist nur natürlich, dass er sie zu besuchen wünscht«, fuhr die Priorin ruhig fort. »Ich vermute, seine Wahl hat mit dem Schicksal seines Sohnes zu tun, der vor einem Jahr verstorben ist.«
Ich erinnerte mich an diesen vergangenen November. Schwester Christina hatte eine Sondererlaubnis erhalten, das Kloster zu verlassen, um der Beerdigung beiwohnen zu können. Sie war sehr in sich gekehrt zurückgekommen und hatte einige Wochen gebraucht, um zu ihrer gewohnten Resolutheit zurückzufinden.
»Wie können Schwester Joanna und ich zu Diensten sein?«, erkundigte sich Bruder Edmund.
»Indem Ihr bei dem Festmahl für Musik sorgt«, antwortete die Priorin. »Ihr schlagt die Laute, wie ich höre. Schwester Joanna spielt sehr begabt die spanische Vihuela.«
Es überraschte mich, dass die Priorin von meiner Liebe zur Musik wusste. Ich hatte meine Vihuela im Kloster nur selten gespielt. Sie war ein kostbarer Besitz; meine Mutter hatte das Instrument aus Spanien kommen lassen, als ich zwölf Jahre alt gewesen war, und hatte mich selbst darauf unterrichtet. Ich hatte es mit hierhergebracht, und die Priorin Elizabeth hatte mich stets zum Üben ermuntert. Seit meiner Rückkehr jedoch hatte ich es nicht angerührt. Es bewegte mich, dass die neue Priorin meinem bescheidenen Talent Beachtung geschenkt hatte.
Bruder Edmund fragte in unverändert mildem Ton: »Wäre Lord Chester nicht besser gedient, wenn wir mit Musikern aufwarteten, denen die höfischen Weisen geläufig sind?«
Die Priorin entgegnete ungeduldig: »Nein, Bruder. Er hat ausdrücklich darum gebeten, dass Angehörige des
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