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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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etwas fragen, Bruder?«
    Er blickte auf, und wie immer verwunderte mich die Unergründlichkeit seiner großen braunen Augen. An einem Sommertag hatte ich im Garten von Stafford Castle eine Eidechse beobachtet, die sich auf einem Stein sonnte   – es erschreckte mich, wie sie mich anblickte,so unerschrocken und starr. Bruder Edmunds Blick brachte mich in ähnlicher Weise aus der Fassung.
    Ich schüttelte meine Scheu ab. Die Bibliothek des Klosters war mir seit der Entdeckung des Athelstan-Buchs verschlossen geblieben, und ich musste noch so vieles wissen.
    »Warum wird der Prinz von Wales, dessen Porträt im Amtsgemach der Priorin hängt, der Schwarze Prinz genannt?«, fragte ich.
    »Das Porträt interessiert Euch, nicht wahr?«, sagte er. »Hm, er wurde nicht immer so genannt. Es ist eher ein neuer Name. Er könnte mit seiner Rüstung zu tun haben   – er trug in der Schlacht stets eine schwarze Rüstung.«
    »Er hat Kriege geführt?«
    »Ja, er führte die Truppen seines Vaters, des Königs, nach Frankreich. Wir fochten dort unter Eduard III. einen langen Krieg aus. Das wisst Ihr wohl?«
    Ich nickte.
    »Der Schwarze Prinz   – auch sein Name war Eduard   – eroberte im Lauf der Jahre zahlreiche Städte und gewann viele Schlachten. Aber er war nicht immer ein barmherziger Kriegsherr.« Ein Schatten flog über Bruder Edmunds Züge. »Er hat eine Tat von solcher Grausamkeit begangen, dass auch sie der Grund für seinen Namen sein könnte.«
    Ich sah wieder den hochmütigen Blick des Prinzen vor mir. »Was hat er denn getan?«
    »Es ist keine schöne Geschichte. Ich würde sie lieber nicht erzählen.«
    Ich sah ihn an. »Glaubt Ihr, ich vertrage nur hübsche Geschichten? Ich habe in meinem Leben schon so viel Hässliches erlebt.« Der Schatten des Tower of London senkte sich zwischen uns.
    Er seufzte. »Nun gut. Es war bei der Belagerung von Limoges, einer Stadt im Süden Frankreichs, die der Prinz erobert hatte. Sie wurde abtrünnig, nachdem er mit seinen Truppen weitergezogen war. In unbändiger Wut belagerte er die Stadt, und als sie fiel, verschonte er nicht einen ihrer Einwohner. Es heißt, dass er dreitausend Menschen töten ließ. Sie wurden einfach niedergemetzelt, während sie um ihr Leben bettelten. Nicht einmal die Kinder verschonte er.«
    Ich strich mit der Hand über den glatten Körper meiner Vihuela, um mein Entsetzen nicht zu zeigen.
    Bruder Edmund sagte: »Es waren andere Zeiten. Die meisten damaligen Chroniken priesen ihn als großen Fürsten. Er wurde einer der ersten Träger des Hosenbandordens, den sein Vater gestiftet hatte. So viel Stärke hatte ihren Wert.«
    »Und dennoch ist er vor seinem Vater gestorben.In einer Schlacht?«
    »O nein. Er zog sich in Frankreich eine Krankheit zu, nicht lange vor der Belagerung. Es heißt, dass er in einer Sänfte zur Stadtmauer von Limoges getragen wurde. Nachdem er die Stadt zurückerobert hatte, kehrte er nach England zurück. Es war ein sehr langsamer Verfall, der sich über Jahre hinzog. Die führenden Ärzte der Christenheit wurden konsultiert, nichts wurde unversucht gelassen. Ich habe Briefwechsel darüber gelesen; die geheimnisvollen Fälle der Medizin machen mich immer neugierig. Der Prinz von Wales stand in der Blüte seiner Jahre, aber er siechte dahin, ohne dass man ein sicheres und erkennbares Symptom seiner Krankheit fand. Es war nicht die Pest, es war keine Lungenkrankheit, und es waren auch nicht die Pocken. Eine Zeitlang glaubte man an Wassersucht, gab diesen Gedanken aber wieder auf. Es gab da eine Passage, die mir besonders im Gedächtnis geblieben ist.«
    Bruder Edmund spitzte die Lippen, während er sich zu erinnern suchte. »Der italienische Arzt schrieb: ›Es ist, als würde ihm die Kraft seines sterblichen Daseins entzogen, und kein Mensch kann den Prozess aufhalten.‹«
    Mich schauderte.
    Bruder Edmund sah lächelnd zu mir hinunter. »Schwester Joanna, Ihr seid ganz bleich geworden. Kommt, probieren wir ein anderes Lied.«
    Ich ergriff meine Vihuela, und wir begannen wieder zu proben. Wir hatten zwei Stücke unseres geplanten Repertoires abgeschlossen, als die anderen Novizinnen im Kapitelhaus erschienen.
    »Danke, dass Ihr uns unterstützen wollt, Schwestern«, sagte Bruder Edmund und fügte zu mir gewandt erklärend hinzu: »Ich glaube, es wäre besser, wenn noch zwei Musiker zu unserem Spiel beisteuern. Die älteren Schwestern konnte ich nicht bitten, ich fürchtete, sie inihrer Würde zu kränken, aber vielleicht darf ich

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