Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
April im Jahre des Herrn 1199 verschied, missachteten seine Männer seinen Befehl. Das Château wurde eingenommen. Der Armbrustschütze wurde gefunden, und die englischen Edlen häuteten ihn bei lebendigem Leib.
Die ganze Christenheit beweinte den Tod eines so mächtigen Herrschers. Er war zweiundvierzig Jahre alt und hatte zehn Jahre regiert.
Das Buch glitt mir aus der Hand. Lange dachte ich über den seltsamen Tod des Richard Löwenherz nach. Warum sollte der erfahrenste Krieger seiner Zeit einen Armbrustschützen, der über ihm auf einer Schlossmauer stand, zum Schuss herausgefordert haben?
Richard sagte, er sei es nicht wert, König zu sein, und sei schon geschwächt gewesen, bevor der Pfeil ihn getroffen habe.
Das ergab keinen Sinn.
Nach einer Weile nahm ich die Lektüre wieder auf und blätterte im Buch, bis ich die Lebensgeschichte des Schwarzen Prinzen fand. Der Schatz war auf dem Gebiet des Vicomte de Limoges entdeckt worden; der Schwarze Prinz hatte die Stadt Limoges belagert. Da musste es eine Verbindung geben.
Aber aus dem Buch erfuhr ich wenig über die Schreckensbelagerung, was ich nicht schon von Bruder Edmund gehört hatte. Die Krankheit des Schwarzen Prinzen verschlimmerte sich nach dem Massaker an den Einwohnern von Limoges, und der Prinz kehrte nach Hause zurück. In dem Buch hieß es:
Er ließ eine Schiffsladung reicher Schätze nach England bringen.
Ich übersprang die Seiten bis zur Beschreibung seines Todes.
Der Prinz von Wales ertrug alle seine Leiden geduldig. In den letzten Stunden stand ihm der Bischof von Bangor bei, der ihn drängte, Gott und all jene, die unter ihm gelitten hatten, um Vergebung zu bitten. Er war nicht gleich dazu bereit, aber schließlich faltete er die Hände und bat Gott und die Menschen um Vergebung. Dann starb er im Königlichen Palast zu Westminster. Er stand im sechsundvierzigsten Lebensjahr.
Die Bibliothekstür flog auf, und Schwester Eleanor schoss herein.
»Schwester Joanna!«, rief sie empört. Hinter ihr stand Schwester Agatha, ebenso erschüttert wie sie.
Ich stellte das Buch an seinen Platz zurück. Schwester Eleanor beachtete es gar nicht, ihr zornfunkelnder Blick galt nur mir. »Schon wieder missbraucht Ihr unser Vertrauen und verstoßt gegen die Regeln. Wir wussten alle von Euren Vergehen unserem Orden gegenüber. Aber man versicherte uns, Ihr wärt zu Buße und Wiedergutmachung entschlossen.«
Mir wurde heiß. »Schwester Eleanor, ich habe über dem Lesen alles andere vergessen. Ich bitte um Vergebung. Ich weiß, es gibt Arbeit, aber –«
»Vor einer Stunde ist Lettice Westerly gestorben«, unterbrach sie mich. »Die Kinder waren völlig außer sich. Wir konnten sie nicht beruhigen. Sie fragten nach Euch – die Kleinste weinte nach Euch. Aber Ihr wart nicht zu finden.«
Ich rannte an ihr vorbei zur Tür. »Wo sind die Kinder jetzt, Schwester?«
»Verschwunden. Sie sind weggelaufen. Wir haben alle nach Euch gesucht, und als wir zurückkamen, waren sie nicht mehr da.«
»Aber ihr Vater ist in London; er ist nicht in ihrem Haus im Dorf«, rief ich verzweifelt.
Sie nickte. »Das ist richtig. Wenn also den Westerly-Kindern etwas zustößt, Schwester, so wird es auf Eurem Gewissen lasten.«
Ich konnte nichts sagen.
Schwester Agatha trat zu mir. »Den Schlüssel, Schwester Joanna.«
Ich reichte ihn ihr.
Schwester Eleanor sagte: »Die Liste Eurer Verfehlungen wird in der Woche nach dem Festmahl im Kapitelsaal vor allen Schwestern verlesen werden. Eure Bestrafung ist Sache der Priorin Joan. Einige Schwestern sind der Meinung, dass Ihr nie wieder in das Kloster hättet aufgenommen werden sollen. Vielleicht wird man jetzt auf sie hören.«
Ich schloss mich der allgemeinen Suche nach den Kindern an und befragte Ethel, die Köchin. Sie würde als Erste wissen, wo die Kinder sich aufhielten. Aber mit Ethel, die nicht nur mitten in den hektischen Vorbereitungen für das Festmahl steckte, sondern auch noch um ihre soeben verstorbene beste Freundin trauerte, war nichts anzufangen.
Die mutterlosen Westerly-Kinder blieben verschwunden.
Beim Nachtmahl umschwirrten mich die tuschelnden Stimmen wie aufdringliche Insekten. Dass ausgerechnet Schwester Agatha Zeugin meiner letzten Verfehlung geworden war! Schlimmer hätte es nicht kommen können. Jeder, der Ohren hatte, musste inzwischen bis ins Kleinste Bescheid wissen.
Am Novizinnentisch aßen wir schweigend. Ich hielt den Kopf gesenkt, um nicht den Blicken Schwester Winifreds mir
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