Die letzte Odyssee
Poole an ein Gerät angeschlossen, das einem tragbaren Computer des 20. Jahrhunderts zum Verwechseln ähnlich sah – lächelte ihm beruhigend zu.
»Sind Sie bereit?«
Manchmal waren die alten Sprüche immer noch die besten.
»Ich kann’s kaum erwarten«, antwortete Poole.
Das Licht wurde langsam schwächer – jedenfalls schien es ihm so. Tiefe Stille senkte sich herab, sogar die leichte Schwerkraft des Turms entließ ihn aus ihrem Griff. Gleich einem Embryo schwebte er in unendlicher Leere, wenn auch nicht in völliger Dunkelheit. Diese kaum wahrnehmbare, fast schon ultraviolette Düsternis an der Grenze zur Nacht hatte er nur einmal erlebt – am äußeren Rand des Großen Barriereriffs, als er tiefer als ratsam an einer steilen Klippe entlanggetaucht war. Der Blick in die mehrere hundert Meter kristallener Tiefe hatte ihn für einen Moment so verwirrt, daß er fast in Panik geraten wäre und die Auftriebshilfe aktiviert hätte, bevor er sich wieder faßte. Den Ärzten der Raumfahrtbehörde hatte er natürlich nie von dem Vorfall erzählt, das verstand sich von selbst …
Wie aus weiter Kerne hörte er eine Stimme durch das Nichts schallen. Aber die sanften Töne drangen nicht durch seine Ohren zu ihm, sondern hallten in den vielfach verschlungenen Windungen seines Gehirns wider.
»Wir beginnen jetzt mit der Justierung. Ich werde Ihnen von Zeit zu Zeit eine Frage stellen – Sie können mental antworten, aber vielleicht fällt es Ihnen leichter, wenn Sie verbalisieren. Haben Sie verstanden?«
»Ja«, antwortete Poole, ohne zu wissen, ob seine Lippen sich auch wirklich bewegten. Er hatte keine Möglichkeit, es festzustellen.
Etwas – ein Raster aus dünnen Linien, wie ein riesiges Blatt Millimeterpapier – erschien aus dem Nichts und füllte sein Gesichtsfeld nach allen Seiten bis an die Grenzen aus. Das Bild veränderte sich auch nicht, als er den Kopf bewegte.
Nun huschten Ziffern über das Raster, es ging zu schnell, als daß er sie hätte lesen können – vermutlich wurden sie elektronisch aufgezeichnet. Poole mußte unwillkürlich lächeln (hatten seine Wangen sich wirklich bewegt?) – es war alles so vertraut, genau wie zu seiner Zeit die computergesteuerte Untersuchung beim Augenarzt.
Das Raster verschwand, nun erschienen Farbflächen vor seinen Augen, die binnen weniger Sekunden das gesamte Spektrum durchrasten. »Hätte ich euch gleich sagen können«, murmelte Poole vor sich hin. »Meine Farbwahrnehmung ist einwandfrei. Als nächstes kommt wohl das Gehör an die Reihe.«
Er hatte recht. Leise Trommelschläge schraubten sich hinab zum tiefsten, noch hörbaren C, um sich dann rasend schnell durch mehrere Oktaven nach oben zu bewegen, bis die Hörgrenze für Menschen überschritten und der Frequenzbereich der Fledermäuse und Delphine erreicht war.
Damit waren die einfachen Tests beendet. Ein kurzer Schwall von größtenteils, aber nicht ausschließlich angenehmen Düften brach noch über ihn herein. Dann wurde er sozusagen zu einer Marionette an unsichtbaren Fäden.
Vermutlich wurde jetzt die Reaktionsfähigkeit seines Muskel- und Nervensystems untersucht. Hoffentlich war äußerlich nicht zu erkennen, was in ihm vorging, er wollte nicht aussehen, als hätte er den Veitstanz. Für einen Moment spürte er sogar eine starke Erektion, doch bevor er sich vergewissern konnte, ob das der Realität entsprach, fiel er in einen traumlosen Schlaf.
Oder träumte er nur, daß er schlief? Als er wieder erwachte, wußte er nicht, wieviel Zeit vergangen war. Der Helm war verschwunden, und mit ihm der Hirnklempner samt seinen Geräten.
»Es ist alles gutgegangen«, strahlte die Oberschwester. »Jetzt müssen Sie noch ein paar Stunden unter Beobachtung bleiben, für den Fall, daß nachträglich Unregelmäßigkeiten auftreten. Wenn die Werte k.o. – ich meine o.k. – sind, bekommen Sie morgen Ihren Zerebralhelm.«
Normalerweise wußte Poole es sehr zu schätzen, daß seine Betreuer sich bemühten, sein archaisches Englisch zu erlernen, doch dieser unglückliche Versprecher der Oberschwester belastete ihn.
Bei der letzten Anprobe kam Poole sich vor wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum, das kurz davor war, ein wunderschönes, neues Spielzeug auszupacken.
»Sie brauchen die Installation nicht noch einmal über sich ergehen zu lassen«, versicherte ihm der Hirnklempner. »Wir können sofort herunterladen. Zuerst bekommen Sie eine fünfminütige Demonstration. Entspannen Sie sich und genießen Sie
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