Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Odyssee

Die letzte Odyssee

Titel: Die letzte Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
Vom Netzwerk:
Wasserflächen an Orten, wo er sie nicht erwartet hätte – der Saladin-See in der nördlichen Sahara war schon fast ein kleines Meer.
    Die Aussicht fesselte ihn so sehr, daß er die Zeit vergaß. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß bereits sehr viel mehr als fünf Minuten vergangen sein mußten – und der Fahrstuhl hatte sich noch immer nicht bewegt. Hatte es eine Panne gegeben, oder wartete man noch auf verspätete Mitreisende?
    Dann machte er eine Entdeckung, die so unglaublich war, daß er seinen Augen nicht traute. Sein Gesichtsfeld hatte sich erweitert, als sei er Hunderte von Kilometern nach oben gestiegen! Man konnte richtig zusehen, wie von allen Seiten immer neue Planetenflächen ins Fenster gekrochen kamen. Er lachte laut auf. Die Erklärung lag natürlich auf der Hand.
    »Beinahe wäre ich Ihnen auf den Leim gegangen, Indra! Ich dachte wirklich, die Aussicht sei echt – keine Videoprojektion!«
    Indra lächelte geheimnisvoll.
    »Falsch geraten, Frank. Wir sind vor etwa zehn Minuten abgefahren. Inzwischen bewegen wir uns, ach, mindestens mit tausend Stundenkilometern aufwärts. Es heißt zwar, daß diese Fahrstühle bei Maximalbeschleunigung bis zu hundert g erreichen können, aber auf Kurzstrecken wie dieser sind es höchstens zehn.«
    »Das ist unmöglich! Mehr als sechs hat man mir nicht einmal in der Zentrifuge zugemutet, und es war wahrhaftig kein Vergnügen, eine halbe Tonne schwer zu sein. Ich weiß ganz genau, daß wir uns, seit wir hier hereingekommen sind, keinen Zentimeter bewegt haben.«
    Poole merkte plötzlich, daß er laut geworden war. Die anderen Fahrgäste stellten sich taub.
    »Ich kann Ihnen die Technik nicht erklären, Frank, aber man spricht von einem Inertial- oder auch Sharp-Feld. Das ›S‹ steht für Sacharow, einen berühmten russischen Wissenschaftler, wer die anderen waren, weiß ich nicht.«
    Poole begann allmählich zu begreifen. Ehrfürchtiges Staunen erfaßte ihn. Diese Technik war in der Tat ›von Magie nicht mehr zu unterscheiden‹.
    »Einige meiner Freunde haben immer vom ›kosmischen Antrieb‹ geträumt – von Energiefeldern anstelle von Raketen, von Bewegung ohne Beschleunigungsdruck. Wir anderen hielten sie für verrückt, aber sie hatten offenbar recht! Ich kann es immer noch kaum fassen … wenn mich nicht alles täuscht, verlieren wir auch an Gewicht.«
    »Ja – wir passen uns lunaren Verhältnissen an. Wenn wir aussteigen, werden Sie spüren, daß wir uns auf dem Mond befinden. Aber Frank, nun vergessen Sie doch um Himmels willen, daß Sie Ingenieur sind, und genießen Sie einfach die Aussicht.«
    Das war ein guter Rat. Poole beobachtete fasziniert, wie Afrika, Europa und große Teile Asiens in sein Blickfeld rückten. Aber was er eben gehört hatte, war so unbegreiflich, daß er nicht davon loskam. Dabei war seine Überraschung gar nicht gerechtfertigt: Er hatte ja gewußt, daß man seit seiner Zeit auf dem Gebiet des Raumschiffantriebs gewaltige Fortschritte gemacht hatte. Aber er hatte nicht realisiert, daß sie so dramatische Auswirkungen auf den normalen Alltag haben könnten – falls man das Leben in einem sechsunddreißigtausend Kilometer hohen Wolkenkratzer als normalen Alltag bezeichnen konnte.
    Das Raketenzeitalter war sicher schon seit Jahrhunderten vorbei. Alles, was er über Antriebssysteme, Brennkammern, Ionenbeschleuniger und Fusionsreaktoren wußte, war längst überholt. Das war zwar nicht weiter von Bedeutung – aber er konnte jetzt nachfühlen, was der Kapitän eines Windjammers empfunden haben mußte, als die Dampfmaschine die Segel verdrängte.
    Er wurde jäh aus dieser melancholischen Stimmung gerissen und mußte unwillkürlich lächeln, als die Computerstimme verkündete: »Ankunft in zwei Minuten. Bitte vergewissern Sie sich, daß Sie Ihr Gepäck vollzählig bei sich haben.«
    Wie oft hatte er diese Durchsage auf Linienflügen schon gehört! Er schaute auf die Uhr und stellte überrascht fest, daß die Fahrt nur knapp eine halbe Stunde gedauert hatte. Sie mußten also mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mindestens zwanzigtausend Stundenkilometern gefahren sein, und doch hatte er das Gefühl, sich nicht von der Stelle bewegt zu haben. Mehr noch – in den letzten zehn Minuten mußte die Kabine eigentlich so stark abgebremst haben, daß alle Fahrgäste normalerweise mit dem Kopf in Richtung Erde von der Decke hängen sollten!
    Die Türen glitten lautlos auf, und als Poole ausstieg, spürte er wieder dieses leichte

Weitere Kostenlose Bücher