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Die letzte Odyssee

Die letzte Odyssee

Titel: Die letzte Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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Schwindelgefühl. Doch diesmal wußte er, woher es kam. Er hatte die Zone durchschritten, in der sich Inertialfeld und Schwerkraft – in diesem Fall Mondschwerkraft – überlappten.
    Der Blick auf die sich entfernende Erde war selbst für ihn als Astronauten ein Erlebnis gewesen, aber eigentlich keine Überraschung. Nicht gefaßt war Poole jedoch auf die riesige Halle, die er nun betrat. Sie nahm offenbar die ganze Breite des Turms ein, die gegenüberliegende Wand war mehr als fünf Kilometer entfernt! Auf dem Mond oder dem Mars mochte man inzwischen noch gewaltigere Räume geschaffen haben, aber dies hier war wohl im ganzen Weltall kaum zu überbieten.
    Er stand mit Indra auf einer fünfzig Meter hohen Aussichtsplattform an der Außenmauer und blickte über eine erstaunlich vielgestaltige Landschaft hinweg. Man hatte sich bemüht, das ganze Spektrum terrestrischer Biome zu kopieren. Unmittelbar unter der Plattform stand eine Gruppe schlanker Bäume, die Poole zunächst nicht erkannte. Dann kam ihm die Erleuchtung: Es waren Eichen, die bei einem Sechstel der normalen Schwerkraft gezüchtet worden waren. Wie würden hier wohl die Palmen aussehen? Wahrscheinlich wie riesige Schilfrohre …
    In einiger Entfernung lag ein kleiner, von einem Fluß gespeister See. Der Fluß schlängelte sich durch eine große Wiese und verschwand in einem Gebilde, das aussah wie ein Riesen-Banyan. Aber wo war seine Quelle? Ein schwaches Tosen drang in Pooles Bewußtsein. Sein Blick folgte der Wand, und er entdeckte einen Niagarafall im Kleinformat, über dem sich der schönste Regenbogen wölbte.
    Er hätte stundenlang hier stehen und die Aussicht bewundern können, ohne alle Wunder dieser großartigen, unendlich detaillierten Simulation seines Heimatplaneten auszuschöpfen. Vielleicht hatte die Menschheit, je weiter sie in neue und weniger freundliche Räume vordrang, zunehmend den Drang verspürt, sich auf ihre Ursprünge zu besinnen. Gewiß, auch zu seiner Zeit hatte sich schon jede Stadt in ihren Parks ein wenn auch blasses Abbild der Natur geschaffen. Der gleiche Gedanke hatte wohl auch hier Pate gestanden, nur waren die Dimensionen nicht zu vergleichen. Central Park gegen Afrikaturm!
    »Gehen wir hinunter«, sagte Indra. »Es gibt so viel zu sehen, und ich komme selbst viel zu selten hierher.«
    Obwohl man bei der niedrigen Schwerkraft auch zu Fuß mühelos vorankam, benützten sie von Zeit zu Zeit eine kleine Einschienenbahn. Einmal setzten sie sich in ein Café, das sich geschickt im Stamm einer mindestens zweihundertfünfzig Meter hohen Sequoie versteckte.
    Sonst waren nur wenige Besucher zu sehen – ihre Mitreisenden waren längst irgendwohin verschwunden – so daß sie sich der Illusion hingeben konnten, sie hätten dieses Wunderland für sich allein. Alles war sorgsam gepflegt, vermutlich waren ganze Heerscharen von Robotern am Werk. Immer wieder fühlte sich Poole an Disney World erinnert, das er als kleiner Junge einmal besucht hatte. Aber diese Anlage war noch besser: kein Massenbetrieb, und nur sehr wenig, was an die Menschheit und ihre Schöpfungen erinnerte.
    Sie bewunderten gerade eine herrliche Orchideenkultur mit Blüten von unerhörter Größe, als Poole den Schock seines Lebens bekam. Am Wegrand stand ein typisches Gärtnerhäuschen, und als sie auf gleicher Höhe waren, öffnete sich die Tür – und der Gärtner trat heraus.
    Frank Poole hatte sich immer viel auf seine Nervenstärke zugute gehalten und sich niemals träumen lassen, daß er als Erwachsener noch einmal einen Entsetzensschrei ausstoßen könnte. Aber wie jedes Kind seiner Generation hatte er alle
Jurassic-Park-
Filme gesehen – und erkannte einen Raptor auf den ersten Blick.
    »Das tut mir wirklich leid.« Indra war sichtlich betroffen. »Ich hätte Sie warnen sollen.«
    Pooles flatternde Nerven beruhigten sich wieder. Natürlich gab es auf dieser allzu zahmen Welt keine Gefahren, aber dennoch …!
    Der Dinosaurier schien sich nicht im geringsten für die Besucher zu interessieren. Er trat in sein Häuschen zurück und kam mit einem Rechen und einer Gartenschere wieder. Die Schere steckte er in einen Beutel, der ihm von der Schulter hing. Dann watschelte er davon und verschwand, ohne sich noch einmal umzusehen, hinter einer Reihe zehn Meter hoher Sonnenblumen.
    »Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig«, sagte Indra zerknirscht. »Wir setzen Bioorganismen ein, wo immer es geht, sie sind uns lieber als Roboter – wahrscheinlich der reine

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