Die letzte Odyssee
Kohlenstoff-Chauvinismus! Es gibt allerdings nur wenige Tiere mit einer gewissen Fingerfertigkeit, und die haben alle schon irgendwo Verwendung gefunden.
Hier sind wir nun auf ein Rätsel gestoßen, das bisher niemand lösen konnte. Man möchte meinen, daß gentechnisch verbesserte Pflanzenfresser wie Schimpansen und Gorillas sich gut als Gärtner eignen würden. Aber das ist nicht der Fall; sie haben für diese Arbeit zu wenig Geduld.
Fleischfresser wie unser Freund hier kommen dagegen ganz ausgezeichnet zurecht und lernen schnell. Zudem – auch das ist paradox! – sind sie nach der Behandlung gutmütig und fügsam. Natürlich steckt dahinter eine fast tausendjährige Erfahrung mit der Gentechnik. Und wenn man bedenkt, was der primitive Mensch ganz ohne moderne Hilfsmittel aus dem Wolf gemacht hat!«
Indra lachte und fuhr fort: »Ob Sie es glauben oder nicht, Frank, sie geben auch gute Babysitter ab – die Kinder sind begeistert von ihnen! Es gibt einen Witz, der schon fünfhundert Jahre alt ist: ›Würdest du deine Kinder einem Dinosaurier anvertrauen? Niemals – sie könnten ihn kaputtmachen!‹«
Poole lachte mit, nicht zuletzt, weil er sich schämte, so schreckhaft gewesen zu sein. Dann wechselte er das Thema und stellte Indra die Frage, die ihn schon die ganze Zeit verfolgte.
»Es ist wunderschön hier«, sagte er. »Aber wozu der Aufwand, wenn jeder Turmbewohner genauso schnell die echte Erde erreichen kann?«
Indra zögerte einen Moment mit ihrer Antwort und sah ihn nachdenklich an.
»Ganz so ist es nicht. Für Bewohner oberhalb der Einhalb-g-Etage ist es selbst mit einem Luftkissenstuhl unangenehm – ja, sogar gefährlich – zur Erde hinunterzufahren.«
»Aber das gilt doch sicher nicht für mich! Ich bin seit meiner Geburt an ein g gewöhnt – und ich habe mein Schwerkrafttraining an Bord der
Discovery
niemals vernachlässigt.«
»Darüber sollten Sie mit Prof Anderson sprechen. Ich darf es Ihnen eigentlich nicht sagen, aber im Augenblick tobt ein heftiger Streit über den derzeitigen Stand Ihrer biologischen Uhr. Sie ist offenbar nie vollends stehengeblieben, und jetzt schwanken die Schätzungen Ihres relativen Alters zwischen fünfzig und siebzig Jahren. Sie haben sich gut erholt, aber Sie können nicht erwarten, jemals wieder voll zu Kräften zu kommen – nicht nach tausend Jahren!«
Jetzt wird mir manches klar, dachte Poole niedergeschlagen. Deshalb hatte Anderson sich nie festlegen wollen, und deshalb hatte man unentwegt seine Muskelreaktionen getestet.
Ich bin vom Jupiter zurückgekehrt und bis auf zweitausend Kilometer an die Erde herangekommen – in der virtuellen Realität kann ich sie jederzeit wiedersehen, aber ich selbst werde womöglich nie wieder einen Fuß auf meinen Heimatplaneten setzen.
Ich weiß nicht, ob ich mich damit abfinden kann …
10
Ikarus läßt grüßen
Es gab so viel zu sehen und zu erleben, daß seine Niedergeschlagenheit rasch verflog. Tausend Leben hätten nicht genügt, um alle Zerstreuungen auszukosten, die diese Zeit zu bieten hatte, und so blieb ihm nur die Qual der Wahl. Er achtete, nicht immer mit Erfolg, darauf, sich nicht in Belanglosigkeiten zu verzetteln, sondern sich auf wirklich wichtige Dinge, vor allem auf seine Weiterbildung, zu konzentrieren.
Der Zerebralhelm – samt dem dazugehörigen Abspielgerät in Buchgröße, das natürlich den Spitznamen ›Hirnkasten‹ trug – leistete ihm dabei gute Dienste. Bald besaß er eine kleine Bibliothek von ›Wissenstäfelchen‹, von denen jedes den gesamten Lehrstoff eines akademischen Studiums enthielt. Er brauchte nur eins von diesen Täfelchen in den Hirnkasten zu stecken und die Geschwindigkeit und Intensität einzustellen, die ihm am besten entsprachen, schon gab es einen Lichtblitz, und er versank bis zu einer Stunde in Bewußtlosigkeit. Wenn er wieder erwachte, hatten sich seinem Denken neue Bereiche erschlossen, auf die er allerdings gezielt zugreifen mußte, wenn er sie finden wollte. Doch dann war es, als entdecke ein Bibliotheksbesitzer plötzlich Regale voller Bücher, von deren Vorhandensein er bisher nichts geahnt hatte.
Poole konnte größtenteils frei über seine Zeit verfügen. Aus Pflichtgefühl – und auch aus Dankbarkeit – stellte er sich möglichst oft den Fragen von Wissenschaftlern, Historikern, Schriftstellern und Künstlern, auch wenn ihm die Medien, in denen sie arbeiteten, oft unverständlich waren. Daneben erhielt er immer wieder Einladungen von anderen Bewohnern
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