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Die letzte Odyssee

Die letzte Odyssee

Titel: Die letzte Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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sie mit einer Mischung aus Feierlichkeit und Übermut die nötigen Vorbereitungen getroffen hatten.
    Tausend Jahre später hatte Poole alle Hebel in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, ob Helena ihr Versprechen gehalten hatte, aber es war ihm nicht gelungen. Nicht nur sein Gedächtnis wies Lücken auf, sondern auch die Archive der Menschheit. Die schlimmste Bresche hatte der Asteroideneinschlag von 2034 geschlagen. Dem dadurch ausgelösten elektromagnetischen Impuls waren trotz aller Backups und Sicherheitssysteme weltweit mehrere Prozent der Datenspeicher zum Opfer gefallen. Immer wieder grübelte Poole darüber nach, ob in den Exabytes, die damals unwiderruflich verlorengegangen waren, wohl auch die Informationen über seine eigenen Kinder steckten. Womöglich wandelten seine Nachkommen schon in der dreißigsten Generation auf Erden, und er würde es nie erfahren.
    Ein wenig half ihm die Erfahrung, daß es doch einige Frauen gab, die ihn – anders als Aurora – nicht als beschädigte Ware betrachteten. Ganz im Gegenteil: Der kleine Unterschied wirkte bisweilen sogar stimulierend, doch diese etwas bizarre Reaktion machte es Poole erst recht unmöglich, tiefere Gefühle zu entwickeln. Er war auch gar nicht erpicht darauf; im Grunde suchte er nur hin und wieder eine gesunde, rein körperliche Befriedigung.
    Rein körperlich – das war das Problem. Er hatte kein Ziel mehr. Zu viele Erinnerungen lasteten auf ihm. In Anlehnung an ein berühmtes Buch, das er in seiner Jugend gelesen hatte, bezeichnete er sich oft selbst als ›Fremd in einer fremden Zeit.‹
    Es kam sogar vor, daß er auf den schönen Planeten hinabschaute, den er – wenn er sich an die Anweisungen seines Arztes hielt – nie wieder betreten durfte, und sich ernsthaft überlegte, seine Bekanntschaft mit dem Vakuum des Weltalls zu erneuern. Man konnte zwar nicht so ohne weiteres durch die Luftschleusen gehen, ohne Alarm auszulösen, aber es war schon vorgekommen. Alle paar Jahre gab ein entschlossener Selbstmörder in der Erdatmosphäre ein kurzes Gastspiel als Meteor.
    Doch die Rettung war nahe, und sie kam von einer Seite, mit der niemand gerechnet hätte.
     
    »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Commander Poole – zum zweiten Mal.«
    »Sie müssen verzeihen – kann mich nicht erinnern – ich komme mit so vielen Menschen zusammen.«
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Das erste Mal war draußen beim Neptun.«
    »Captain Chandler – das ist aber eine Freude! Kann ich Ihnen etwas aus der Autoküche anbieten?«
    »Was immer Sie wollen, solange es mehr als zwanzig Prozent hat.«
    »Was führt Sie denn auf die Erde? Man hatte mir gesagt, Sie wagten sich allenfalls bis zum Marsorbit, aber nicht näher.«
    »Das ist auch fast richtig – ich halte die Erde für einen schmutzigen, stinkenden Slum, obwohl ich hier geboren wurde – zu viele Menschen – wir pirschen uns schon wieder an die Milliardengrenze heran!«
    »Zu meiner Zeit waren es über zehn Milliarden. Haben Sie übrigens meinen ›Dankesbrief‹ erhalten?«
    »Ja – ich weiß, ich hätte mich melden sollen. Aber ich wollte abwarten, bis ich wieder mal in Richtung Sonne kam. Und nun bin ich da. Auf Ihr Wohl!«
    Der Captain stürzte den Drink beeindruckend rasch hinunter. Poole betrachtete seinen Besucher interessiert. Bärte – sogar kleine Spitzbärte, wie Chandler einen trug – waren in dieser Gesellschaft sehr selten, und einen bärtigen Astronauten hatte er überhaupt noch nicht kennengelernt: Bärte und Raumanzughelme vertrugen sich nicht. Natürlich brauchte ein Raumschiffkapitän sein Schiff oft jahrelang nicht zu verlassen, und die meisten Außenarbeiten wurden ohnehin von Robotern erledigt; aber Notfälle waren nie ganz auszuschließen, und dann mußte man rasch in seinen Anzug steigen können. Chandler war also offensichtlich ein Sonderling, und das allein genügte, um ihm Pooles Herz zufliegen zu lassen. »Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Wenn Sie die Erde nicht leiden können, was machen Sie dann hier?«
    »Ach, meistens treffe ich mich mit alten Freunden – ich finde es herrlich, sich in Realzeit unterhalten zu können, ohne stundenlange Verzögerungen! Aber das ist natürlich nicht der eigentliche Grund. Meine alte Rostmühle wird überholt, oben auf der Werft an der ›Felge‹. Die Panzerung muß erneuert werden; wenn sie bis auf ein paar Zentimeter abgeschmolzen ist, kann ich nicht mehr ruhig schlafen.«
    »Panzerung?«
    »Der Staubschild. Das war

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