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Die letzte Odyssee

Die letzte Odyssee

Titel: Die letzte Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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nicht reine Einbildung gewesen war – hatte seine Kraft inzwischen sicher längst verloren. Aber Poole war bis jetzt für Liebesabenteuer zu beschäftigt gewesen und hatte deshalb verschiedene großzügige Angebote von jungen (und nicht mehr ganz jungen) Damen höflich abgelehnt. Er wußte nicht einmal, was sie eigentlich so anziehend an ihm fanden, sein Äußeres, oder seine Berühmtheit. Vielleicht war es auch nur Neugier auf einen Mann, der immerhin vor zwanzig oder dreißig Generationen ihr Vorfahre hätte gewesen sein können.
    So war Poole sehr erfreut, als ihm Mrs. McAuleys Identifikator verriet, daß sie derzeit nicht gebunden war, und er nahm unverzüglich Kontakt zu ihr auf. Binnen vierundzwanzig Stunden saß er hinter ihr auf dem Drachen und legte ihr genießerisch die Arme um die Taille. Inzwischen hatte er auch erfahren, wozu die Fliegerbrille gut war: Draco war nämlich Vollroboter und erreichte mühelos hundert Stundenkilometer. Die echten Drachen hatten solche Geschwindigkeiten wohl kaum geschafft.
    Es überraschte ihn nicht, daß die ständig wechselnden Landschaften unter ihnen alle der Welt der Märchen entstammten. Als sie Ali Baba auf seinem fliegenden Teppich überholten, drohte er wütend mit der Faust und rief ihnen nach: »Könnt Ihr nicht aufpassen!« Er mußte sich allerdings sehr weit von seiner Heimatstadt Bagdad entfernt haben, denn die romantischen Türmchen, über denen sie jetzt kreisten, gehörten eindeutig zu Oxford.
    Das bestätigte auch Aurora. Sie deutete nach unten: »Das ist die Kneipe – das Gasthaus – wo Lewis und Tolkien sich immer mit ihren Freunden, den Inklingen, getroffen haben. Und da, auf dem Fluß – das Boot, das eben unter der Brücke hervorkommt – siehst du die zwei kleinen Mädchen und den Geistlichen?«
    »Ja«, rief er über das leise Säuseln des Fahrtwinds hinweg. »Eine von beiden ist vermutlich Alice.«
    Aurora drehte sich um und lächelte ihn mit ehrlicher Begeisterung an.
    »Ganz richtig: Sie ist eine exakte Kopie, hergestellt nach den Fotos des Reverend. Ich hatte schon befürchtet, du würdest sie am Ende nicht erkennen. Schon bald nach deiner Zeit haben so viele Menschen das Lesen aufgegeben.«
    Poole schwoll das Herz in der Brust.
    Das war wohl eben der zweite Test, dachte er voller Genugtuung. Der erste war der Ritt auf Draco. Was sie wohl noch von mir erwartet? Einen Zweikampf mit Schwertern vielleicht?
    Aber sie war zufrieden – und die Antwort auf die uralte Frage »Zu dir oder zu mir?« lautete: Zu Poole.
    Am nächsten Morgen suchte Poole, beschämt und bis ins Innerste getroffen, Professor Anderson auf.
    »Es war alles phantastisch gelaufen«, klagte er. »Und dann ist sie auf einmal hysterisch geworden und hat mich von sich gestoßen. Ich dachte schon, ich hätte ihr weh getan.
    Als auf ihren Befehl das Licht anging – bis dahin waren wir im Dunkeln gewesen – sprang sie aus dem Bett. Ich muß sie angestarrt haben wie ein Idiot …« Er lachte selbstironisch. »Der Anblick war ja auch wirklich sehenswert.«
    »Natürlich. Weiter.«
    »Nach ein paar Minuten wurde sie ruhiger, und dann hat sie etwas gesagt, das ich wohl nie mehr vergessen werde.«
    Professor Anderson wartete geduldig, bis Poole sich gefaßt hatte.
    »Sie sagte: ›Es tut mir wirklich leid, Frank. Wir hätten uns sicher gut verstanden. Aber ich wußte nicht, daß du – verstümmelt bist.‹«
    Der Professor riß erstaunt die Augen auf, dann nickte er.
    »Ach so – ich verstehe. Das ist wirklich bedauerlich, Frank – vielleicht hätte ich dich warnen sollen. Mir sind in dreißig Berufsjahren nur ein halbes Dutzend solcher Fälle untergekommen – und die hatten alle triftige, medizinische Gründe, was auf dich natürlich nicht zutrifft…
    Die Beschneidung hatte in primitiven Zeiten – sogar noch in deinem Jahrhundert – durchaus ihren Sinn. Sie verhinderte, daß man sich in unterentwickelten Ländern mit unzureichender Hygiene unangenehme, ja sogar tödliche Krankheiten holte. Davon abgesehen gab es kein Argument dafür – aber einige dagegen, wie du eben am eigenen Leibe erfahren mußtest!
    Ich habe nachgeschlagen, nachdem ich dich zum ersten Mal untersucht hatte, und folgendes herausgefunden:
    Mitte des 21. Jahrhunderts nahmen die Kunstfehlerprozesse so stark überhand, daß die
American Medical Association
sich gezwungen sah, diese Operationen zu verbieten. Die Rechtfertigungen der zeitgenössischen Ärzte sind übrigens recht amüsant.«
    »Das kann ich mir

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