Die letzte Odyssee
fühlen. In jedem Gespräch würde es Anspielungen geben, die er nicht verstand, oder Witze, die über seinen Kopf hinweggingen. Und was noch schlimmer war, er mußte immer befürchten, in irgendein Fettnäpfchen zu treten – sich in einer Weise gesellschaftlich unmöglich zu machen, daß er selbst die besten von seinen neuen Freunden in Verlegenheit brachte …
… Wie etwa bei jenem Essen mit Indra und Professor Anderson, das zum Glück in seiner Wohnung stattgefunden hatte. Die Mahlzeiten aus der Autoküche waren immer genießbar, denn sie waren genau auf seine physiologischen Bedürfnisse abgestimmt. Aber zu Begeisterungsstürmen rissen sie nicht gerade hin, ganz im Gegenteil, sie hätten jeden Gourmet aus dem 21. Jahrhundert zum Weinen gebracht.
Doch eines Tages kam ein ausnehmend wohlschmeckendes Gericht auf den Tisch, das Poole lebhaft an die Hirschjagden und die nachfolgenden Grillfeste seiner Jugend erinnerte. Allerdings war die Speise vom Geschmack und von der Konsistenz her etwas merkwürdig, und so stellte er eine für ihn ganz natürliche Frage.
Anderson lächelte nur, aber Indra sah aus, als müsse sie sich gleich übergeben. Nach ein paar Sekunden hatte sie sich erholt und bat den Professor: »Erkläre du es ihm – aber bitte erst, wenn wir mit dem Essen fertig sind.«
Was habe ich denn jetzt wieder angestellt? fragte sich Poole. Eine halbe Stunde später – Indra beschäftigte sich demonstrativ mit dem Videodisplay an der gegenüberliegenden Wand – tat er einen weiteren, großen Schritt auf seinem Weg ins dritte Jahrtausend.
»Schon zu deiner Zeit verzichtete man zunehmend auf Leichenkost«, begann Anderson. »Tiere aufzuziehen, um sie – igitt! – zu essen, war wirtschaftlich irgendwann nicht mehr vertretbar. Ich weiß nicht, wie viele Hektar Land man brauchte, um eine Kuh zu ernähren, aber wenn man auf der gleichen Fläche Pflanzen anbaute, konnten davon mindestens zehn Menschen leben. Und mit hydroponischen Verfahren wahrscheinlich hundert.
Nicht wirtschaftliche Erwägungen, sondern die Seuchen brachten jedoch endgültig die Wende. Ich glaube, es war ein Virus, das das Gehirn befiel und zu einem besonders schrecklichen Tod führte – es fing bei den Rindern an und griff auf andere Schlachttiere über. Irgendwann fand man zwar ein Mittel dagegen, doch da ließ sich die Uhr schon nicht mehr zurückdrehen – außerdem war synthetische Nahrung inzwischen nicht nur sehr viel billiger geworden, sondern auch in jeder gewünschten Geschmacksrichtung erhältlich.«
In diesem Punkt war Poole etwas anderer Meinung. Er hatte zu viele Wochen von sättigenden, aber doch sehr eintönigen Mahlzeiten gelebt. Warum, dachte er, sollte ich sonst immer noch von Spareribs und Cordon Bleu träumen?
Andere Träume beunruhigten ihn freilich sehr viel mehr. Wenn es noch lange so weiterging, mußte er Anderson um seinen medizinischen Rat bitten. Man tat hier zwar alles, damit er sich zu Hause fühlte, aber die Fremdartigkeit und die schiere Vielfalt dieser neuen Welt drohten ihn zu überwältigen. Im Schlaf kehrte er – ein unbewußter Fluchtversuch? – oft in sein früheres Leben zurück; aber das machte alles nur noch schlimmer, wenn er wieder aufwachte.
Einmal war er zum Amerikaturm gefahren, um die Landschaft seiner Jugend nicht nur in einer Simulation, sondern in Wirklichkeit zu sehen. Es war kein Erfolg gewesen, obwohl er mit optischen Geräten bei klarem Wetter einzelne Menschen dabei beobachten konnte, wie sie ihren Geschäften nachgingen, und sogar etliche von den alten Straßen wiedererkannte …
Denn in den Tiefen seines Bewußtseins wußte er, daß alle Menschen, die er wirklich liebte, einst da unten gelebt hatten. Mutter, Vater (bevor er mit dieser anderen Frau fortgegangen war), der liebe Onkel George, Tante Lil, sein Bruder Martin – und nicht nur die Menschen, sondern auch seine vielen Hunde, von den niedlichen Welpen seiner frühesten Kindheit bis hin zu Rikki, dem besten Kameraden, den man sich wünschen konnte.
Am meisten beschäftigte ihn die Erinnerung an Helena – und das Rätsel, das er nicht lösen konnte.
Er hatte sie zu Beginn seines Astrotrainings kennengelernt. Zunächst war es nur eine flüchtige Affäre gewesen, doch im Lauf der Jahre war die Bindung immer fester geworden. Kurz vor seinem Start zum Jupiter hatten sie beschlossen, die Beziehung zu legalisieren – wenn er zurückkam. Und wenn nicht, dann wollte Helena ein Kind von ihm. Er erinnerte sich noch gut, wie
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