Die letzte Offenbarung
er ein Bild vor Augen: Rebecca mit dunkler Hornbrille, die Haare streng zum Zopf geflochten. »Und ich dachte, sie wäre genau dein Typ.«
Amadeo schluckte. War er so leicht durchschaubar? Entrüstet schüttelte er den Kopf: »Was soll ich mit... mit so einer?«
»Nun.« Rebecca hob die Schultern. »Sie sieht nicht übel aus, und singen kann sie nun wirklich. Und dann der Entschluss, die Karriere mit dreißig an den Nagel zu hängen — da muss man einfach Respekt haben.«
»Keine Ahnung«, murmelte er. »Ich höre keine Popmusik.«
Das war nicht ganz richtig, denn bei den Verabredungen mit Berenice Travelli war er mehr oder minder gezwungen gewesen, sich diese Art von Musik anzuhören. Daher kannte er auch Mafalda Ruskowskaja, die im vergangenen Jahr eine der aufsehenerregendsten — und freizügigsten — Karrieren der Popmusik freiwillig beendet und sich in der Nähe von Prag zur Ruhe gesetzt hatte.
Seitdem galt sie als menschenscheu, vorsichtig ausgedrückt, und selbst den frechsten Paparazzi waren in den letzten Monaten nicht mehr als ein paar verwackelte Fotos geglückt, auf denen hauptsächlich ein farbloses Kopftuch und eine überdimensionale Sonnenbrille zu sehen waren. Das hätte genauso gut Amadeos mamma sein können, denn in den Marken waren solche Kopftücher bis heute nicht aus der Mode gekommen. Himmel, er musste zu Hause anrufen. Sie waren dort sicher halb wahnsinnig vor Angst.
Doch was auch immer auf den Fotos der angeblichen Mafalda zu sehen war: Die internationalen Skandalblättchen waren voll von diesen Aufnahmen. Mafalda hatte sich noch in den Glanzzeiten ihrer Karriere gern mit einer geheimnisvollen Aura umgeben, und auf jeden Fall lag der Verdacht nahe, dass sie im Verborgenen an einem massiven Comeback bastelte.
Helmbrechts Angaben waren bisher immer zuverlässig gewesen, und sie hatten keinen Grund, anzunehmen, dass er sich diesmal getäuscht hatte. Nur was zur Hölle wollte eine solche Frau mit einer mittelalterlichen Handschrift des Isidor von Sevilla?
»Amadeo?«
Er schüttelte sich. »Ja?«
»Du sahst so weggetreten aus.«
War das ein Wunder? Rebecca hatte sich noch immer nichts übergezogen, und jetzt noch der Gedanke an Mafalda Ruskowskaja...
»Wo wohnt sie denn in Prag?«, fragte er. »Weiß man das?«
»Du liest wohl wirklich keine Zeitung«, sagte sie erstaunt. »Nicht mal beim Zahnarzt? Man kann ja keine Illustrierte aufschlagen, ohne dass da Bilder der Villa Tepesz zu sehen sind. Wenn sie Mafalda schon nicht vor die Linse bekommen, fotografieren sie wenigstens ihr Haus oder besser: ihren Palast.«
Er kratzte sich das Kinn. »Keine Ahnung.« Gleichzeitig kam ihm eine Erinnerung an ein Palais aus dem siebzehnten Jahrhundert, umgebaut nach Maßgabe dessen, was Arnerikaner Geschmack zu nennen beliebten. Denn Mafalda war natürlich Amerikanerin, ihrem Namen zum Trotz, wenn auch erst in der zweiten Generation. Ihre Vorstellung von Schöner Wohnen sah jedenfalls aus wie die unvorstellbare Mischung zwischen einer amerikanischen Südstaatenvilla und Graf Draculas Schloss. Der Name war absolut treffend.
»Wie sollen wir da reinkommen?«
»Meine Leute lassen sich was einfallen«, sagte Rebecca. »Wir sind sowieso erst heute Nachmittag in Prag. Also, bist du fertig?«
»Ich schon.« Amadeo hob die Augenbrauen und sah sie von oben bis unten an. »Aber du solltest dir vielleicht eine Kleinigkeit überziehen. Tschechien ist zwar bekannt für seine Freizügigkeit, und Mafalda würde es am Ende sogar gefallen, sie hat auf der Bühne auch nicht viel mehr angehabt, trotzdem...«
»Dummkopf«, sagte sie, doch sie grinste dabei.
LVI
»Zu schade.« Bedauernd betrachtete Rebecca den betagten Golf III mit dem Nirvana-Aufkleber. »Ich mochte den Wagen, aber damit können wir uns bei Mafalda wohl kaum blicken lassen.«
Amadeo nickte. »Weder mit dem Aufkleber noch mit dem Wagen. Andere Musik, andere Welt. Die Frau muss Geld haben wie Heu.«
»Apropos, hast du noch Bargeld?«, fragte sie.
»Dreihundertfünfzig Euro«, sagte er überrascht. »Warum?«
»Gib mal her.«
Widerstrebend zog Amadeo sein Portemonnaie hervor und zählte ihr die Scheine in die Hand. Rebecca öffnete die Beifahrertür. Sie hatten nicht abgeschlossen — wie auch, ohne Schlüssel. Sie beugte sich in den Wagen und begann im Handschuhfach zu kramen, was Amadeo einen langen, verträumten Blick auf ihr Hinterteil gestattete.
»Dachte ich mir«, sagte sie grinsend, »alle da, sämtliche Nirvana-CDs. Sie haben ja
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