Die letzte Offenbarung
Rechner verbrachte, um im Auftrag von Rebecca oder wer auch immer sonst zu ihrem Netzwerk gehörte nach Informationen und Kontakten zu recherchieren. Ob er wohl noch genauso bei der Sache wäre, wenn er ahnte, dass eine nackte rothaarige Amazone mit dem Handy am Ohr auf und ab ging?
Wobei... Amadeo stutzte. Woher wollte er das so genau wissen? Was wusste er über diesen Mann? Was wusste er über Rebecca? Sie konnte eine verheiratete Mutter von fünf Kindern sein. Nein, korrigierte er sich, sicherlich keine Kinder. Alles andere war durchaus möglich. In welcher Beziehung stand sie zu diesem Spanier... oder zu sonst wem?
Amadeo spürte, wie eine grundlose Eifersucht in ihm erwachte, und er musste an Johannes denken, an Jesus und Lazarus. Die waren weiter als wir, überlegte er beschämt. Als ich. Hatte er sich nicht aufgeregt, dass die Kirche in zweitausend Jahren nichts dazugelernt hatte? Also setzte er sich brav wieder auf seinen Stuhl und betrachtete voll Bewunderung die geschmeidigen Bewegungen der jungen Frau. Eine stolze, gefährliche Raubkatze, auf die er keinerlei Ansprüche besaß.
Wie sehr wünschte er sich, es wäre anders.
Jedenfalls schien sie mit dem Mann am anderen Ende sehr vertraut, so gut sich das bei einer Unterhaltung in einer fremden Sprache beurteilen ließ. Bei jedem dieser Telefonate lauschte er darauf, ob sie ihn irgendwann mit Namen ansprechen würde, aber das schien sie bewusst zu vermeiden. Nur einmal stutzte er, denn er glaubte das Wort commandante gehört zu haben. Das würde ihre militärische Ausbildung erklären, doch er war sich nicht sicher. Gut möglich, dass er sich täuschte.
Ein neues Geräusch unterbrach Rebeccas Gespräch. Das Handy gab mehrere kurze Töne von sich, und Rebecca nahm den Apparat vom Ohr.
»Eine SMS«, murmelte sie.
»Helmbrecht?«, fragte Amadeo leise.
Sie deutete auf den Laptop, während sie mit ihrem spanischen Redeschwall fortfuhr.
Amadeo fuhr den Rechner hoch und startete das Mailprogramm. Die Weiterleitung auf das Handy war also noch immer aktiviert. Amadeo sah auf die Uhr: Es war zwanzig nach neun am Morgen. Helmbrecht hatte sich selbst übertroffen.
Den geheimen Satz aus dem Boëthius hatte der Professor gestern Abend noch bekommen, bevor Amadeo bei Rebeccas Anblick vollständig die Beherrschung und den Verstand verloren hatte: disciplina.a.discendo.nomen.accepit — Der Begriff der Wissenschaft, der disciplina , leitet sich von discendere , lernen, ab. Das war der allererste Satz in der Etymologie des Isidor von Sevilla. Er hatte Helmbrecht also gleich mitteilen können, nach welchem Codex er zu fahnden hatte.
Und siehe da...
Lieber Amadeo, liebe Frau Steinmann ,
wissen Sie, dass ich Sie richtig beneide? Sie bekommen etwas zu sehen von der Welt, während ich hier in... Nun, man liest meine Mails, bevor ich sie absende, also kann ich das auch gleich auslassen. Jedenfalls ist es diesmal ein wirklich hübsches Fleckchen, kann ich Ihnen sagen .
Trotzdem: Nach Prag würd ich auch gern mal wieder, das ist nämlich Ihre nächste Station. Nur wird es diesmal wohl nicht ganz so einfach werden. Der Isidor befindet sich leider Gottes in Privatbesitz. Er liegt in einem Palais zu Füßen des Petřín. Und jetzt raten Sie mal, wem dieses schmucke Schlösschen gehört? Dreimal dürfen Sie .
Leider daneben .
Und wieder .
Und noch einmal .
Ganz egal, was Sie geraten haben, Sie kommen doch nicht drauf .
Mafalda. Mafalda Ruskowskaja — das sagt Ihnen was, denke ich mal. Sie lesen sicher auch diese Zeitungen mit den vielen Bildern drin. Aber so schlimm wird sie schon nicht sein .
Vielleicht hat Frau Steinmann eine Idee, wie man da vorgehen kann, anscheinend haben Sie sich ja wieder zusammengerauft .
Grüßen Sie mir die Goldene Stadt, aber passen Sie auf Ihre Brieftasche auf .
Helmbrecht
PS: Sie müssen unbedingt Karlsbader Oblaten versuchen, wenn Sie in Tschechien sind. Ein Gedicht, sage ich Ihnen .
PPS: Und bringen Sie mir welche mit!
Rebecca hatte über seine Schulter hinweg mitgelesen und übersetzte den Text gleich ins Spanische. Nach dem Namen Ruskowskaja machte sie eine Pause oder wurde unterbrochen. Sie nickte, nickte noch einmal. Bestätigte. Verabschiedete sich. »Mafalda Ruskowskaja.« Sie pfiff durch die Zähne. »Wer hätte gedacht, dass die sich für mittelalterliche Codices interessiert.«
»Wer hätte gedacht, dass sie überhaupt lesen kann«, ergänzte Amadeo.
»Schau an«, sagte sie und musterte ihn eindringlich. Auf einmal hatte
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