Die letzte Offenbarung
alle Menschen liebte. Und er hatte erkannt, dass Saulus ein entscheidender Stein sein würde im Gebäude der Kirche, die Petrus errichten würde in Jesu Namen .
An jenem Abend aber sah ich, wie sich die anderen von den Zwölf insgeheim mit Saulus besprachen. Mich aber hatten sie nicht hinzugebeten. Und ich hörte, wie er sie beredete: »Ihr müsst handeln, Brüder! Ihr müsst jetzt handeln! Denn das Volk wird nicht dulden, wie er tut, wenn's offenbar wird.«
Sie aber waren uneins, wie sie's beginnen sollten. Doch ich sah, wie der Blick des Petrus insgeheim auf dem Judas Iskarioth ruhte, der ihn verärgert hatte, als er sprach: »Warum ist dies Öl nicht für dreihundert Silbergroschen verkauft und den Armen gegeben worden?« Denn Petrus glaubte, dass dies den Wohlgefallen gemindert hätte, mit dem Jesus auf Maria blickte, und dass es sonst vielleicht anders gekommen wäre und dass Jesus fortan bei Maria gelegen hätte und nicht länger bei mir .
Und eine Kälte kam über mich, als ich diesen Blick des Petrus bemerkte .
Eine Kälte, die Amadeo nicht weniger empfand, als er diese Zeilen las, eine Kälte, die bis in sein Innerstes drang. Was sich da andeutete... Er musste mit Rebecca sprechen.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür der Nasszelle, und Rebecca trat in den Raum. Sie bewegte sich ganz natürlich, als wäre es die selbstverständlichste Sache, dass sie jetzt vollkommen nackt vor ihm stand.
Sein Blick glitt über ihre üppigen Brüste, den blassen, festen Bauch, tiefer, verharrte dort.
»Und ich dachte, jetzt würde ich erfahren, ob du wirklich rothaarig bist.«
Prag, 6. September
LV
»Ich frage mich, ob Bracciolini vielleicht doch mehr weiß, als er uns verraten hat.«
Rebecca saß auf Amadeos Oberschenkeln und trug eine nachdenkliche Miene auf dem Gesicht. Was sie nicht trug, war ein Slip, was zur Folge hatte, dass Amadeo Gedanken im Kopf herumgingen, die der Bedeutung ihrer Entdeckung so gar nicht angemessen waren.
»Wie sollte er?«, murmelte er zerstreut.
»Er weiß viel«, sagte Rebecca. »Mehr als er wissen dürfte.«
»Er hat unsere Mails an Helmbrecht gelesen«, erwiderte Amadeo. »Ist es ein Wunder, dass er da tiefe«, Rebecca schlug die Beine übereinander, und Amadeo schluckte schwer, »Einblicke hat?«, vollendete er den Satz.
Sie sah ihn strafend an. »Wenn man es recht überlegt, kann man sich eigentlich gar nicht wundern: Er ist auf die Erde gekommen, er ist Mensch geworden, also hatte er auch Gefühle, Wünsche, Begierden.«
Amadeo nickte. »Er war eben ein Mensch wie du und ich.«
»Ein Mensch wie du und ich käme damit auch zurecht«, stimmte Rebecca zu. »Nur ist Bracciolini nicht wie du und ich — und es gibt viele Menschen in der Kirche, mächtige Männer, die denken wie er. Sie tun alles dafür, dass ihre Schäfchen genauso denken.«
Unruhig begann Amadeo mit den Fingern auf ihrem Oberschenkel zu trommeln — zunächst auf dem Oberschenkel, doch wie von selbst bewegten sich seine Fingerspitzen Zentimeter für Zentimeter voran.
»Ein Mensch wie du und ich also«, sagte sie. »So, so.« Sie löste sich von ihm und begann sich in ein großes Badetuch zu wickeln. »Weißt du, es gibt ein paar Unterschiede zwischen Jesus und dir. Er war der Sohn Gottes — das bist du nicht. Er war stockschwul — auch da bist du sicherlich unverdächtig.« Sie grinste. »Aber der Hauptunterschied...«
Er beugte sich aus seinem Sessel fast bis zum Boden, um unter das Badetuch zu spähen. Rebecca verpasste ihm eine Kopfnuss — spielerisch, doch diese Frau sah nicht nur aus wie eine Amazone, sondern besaß auch Kräfte wie die legendären Kriegerinnen.
»Jedenfalls hatte er seine Triebe unter Kontrolle«, stellte sie abschließend fest.
»He!«, rief er grinsend und griff blitzschnell nach dem Handtuch. »Was soll das heißen?«
No, I don't have a gun
no, I don't have a gun
Rebeccas Handy. Amadeo hätte das Ding ins Nirvana schicken können, doch sie hatte den Apparat bereits in der Hand.
»Sí.« Eine Pause, dann, ungeduldig. »Bien, muy bien.«
Den Rest verstand er nicht mehr. Schon gestern Abend, nachdem sie Bracciolini losgeworden waren, hatte sie ein längeres Gespräch mit ihrem Kontaktmann geführt. Wer auch immer er war: Von den neuesten Entwicklungen konnte er sich ein Bild machen. Amadeo musste grinsen. Er stellte sich den namenlosen, gesichtslosen Spanier als Computertüftler vor, ein Genie auf seinem Gebiet, das Tag und Nacht mit Glasbausteinen vor den Augen am
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