Die letzte Offenbarung
hätte er auch sagen, was tun sollen? Amadeo und Rebecca wurden überall gesucht, die Flure des Klosters mussten vor Menschen wimmeln. Wenn Görlitz eine Chance gehabt hatte — jetzt war sie vorbei.
»Einen schönen Abend noch«, sagte der commandante und nickte ihm freundlich zu. Wie selbstverständlich schloss er sich Rebecca und Amadeo an — mitsamt seinen Männern.
Amadeo taumelte hinter den beiden Frauen her, den Isidor schützend an die Brust gepresst. Erst jetzt spürte er den Schmerz. Der Sturz von der Leiter, seine Rippe. Bitte nicht, dachte er, bitte nicht schon wieder.
Der Flur des Klosters war ebenso finster wie eine halbe Stunde zuvor. Mafalda sprach kein Wort, und auch Rebecca schwieg. Zielstrebig ging die Sängerin voran, bog erst linker Hand ab, dann rechter Hand, bis sie schließlich den Eingang des Klosters erreicht hatten. Dort blieb sie stehen.
»Was...«, begann Amadeo. Verwirrt blickte er die Sängerin an. »Wir müssen doch zum Set. Der Regisseur...«
Mafalda sah ihn an, und die winzige Andeutung eines Lächelns spielte um ihre Lippen. » Und ihr werdet die Wahrheit erkennen« , sagte sie mit leiser Stimme. »Und die Wahrheit wird euch frei machen.«
Derselbe Satz, den Niketas gesprochen hatte, vor den Toren von Maria Laach. Für einen Moment wurde Amadeo schwarz vor Augen. »Sie!«, flüsterte er. »Sie?«
Kein Mensch war ihnen auf den Fluren begegnet. Niemand hatte nach ihnen gesucht — niemand, bis auf Mafalda. Rebecca und ihre Verbündeten, erkannte Amadeo, waren ebenso überrascht wie er selbst.
»Beeilen Sie sich«, sagte Mafalda. »So dumm sind diese Leute nicht.«
Amadeo nickte. Es war zu viel, mehr, als er im Augenblick fassen konnte. Dennoch... »Bitte warten Sie einen Augenblick«, murmelte er und sah sich nach dem commandante um. »Haben Sie ein Messer?«
Der dunkelhäutige Mann hob eine Augenbraue, aber er nickte einem seiner Männer zu, der daraufhin ein monströses Jagdmesser aus dem Stiefel zog und es Amadeo schweigend reichte.
Der Restaurator nahm es entgegen und schlitzte mit einer entschlossenen Bewegung den Codex im Falz auf. Da waren die Papyri. So vorsichtig wie möglich zog er sie hervor und legte sie nacheinander in Rebeccas ausgestreckte Hand. Wieder waren es elf. Er betrachtete den Codex noch einmal und streichelte über das uralte Pergament, dann reichte er Mafalda das Buch.
»Richten Sie Madame Istvana bitte meinen Dank aus«, sagte er.
Sie neigte stumm den Kopf.
Diesmal war ihr Lächeln mehr als eine Andeutung.
LXVI
»Was ich jetzt gern wissen möchte...«, begann Amadeo.
»Still!«, zischte der dunkelhäutige Mann. »Das da drin waren nicht alle von ihnen.« Er huschte voran. Mit seiner ebenholzschwarzen Haut und in der dunklen Soutane war er beinahe unsichtbar zwischen den Schatten rund um die Klostergebäude.
Unter einer Baumgruppe am Rande des Klosterareals verharrte er und wartete lauschend ab, spähte um sich. Schließlich winkte er seine Begleiter zu sich heran. »Wahrscheinlich nehmen sie gerade euren Wagen auseinander«, wandte er sich an Rebecca.
»Da liegt sonst was drin«, flüsterte sie.
»Was heißt sonst was? Die Papyri? Dein Handy?«
Rebecca überlegte mit finsterer Miene. »Das Handy habe ich, und Amadeo hat die Fragmente aus dem Boëthius. Das ist aber auch alles. Der Laptop liegt im Wagen.«
»Das ist jetzt nicht zu ändern«, zischte der commandante . »Was auch immer auf der Festplatte ist: Sie haben euch auch so gefunden.«
»Erst mal müssen sie es schaffen, ihn überhaupt zu aktivieren.«
Die Zähne des commandante blitzten im Mondlicht, als er das Grinsen erwiderte. Ein fast verstörender Anblick.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Amadeo leise.
»Was war das eben?«, antwortete der andere mit einer Gegenfrage. »Warum haben Sie dieser Frau den Isidor gegeben? Es ist nicht ganz ohne Bedeutung, wo die einzelnen Fragmente herkommen. Wir hätten den Codex brauchen können, als Beweis!«
»Ach, wissen Sie«, Amadeo versuchte seine Züge in der Dunkelheit auszumachen, »ich finde es gar nicht so schlimm, wenn zur Abwechslung einmal nicht ich es bin, der etwas nicht versteht.«
Der commandante erwiderte etwas in einem scharfen Tonfall, doch er sprach Spanisch, und Amadeo verstand es nicht.
Rebecca dagegen zuckte zusammen. Was immer der Mann in der Soutane gesagt hatte, es war nichts Nettes gewesen. »Mafalda gehört also tatsächlich zu ihnen?«, fragte sie rasch an Amadeo gewandt.
»Ist dir nichts aufgefallen?«,
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