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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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sprach: »Eine kurze Zeit nur noch, und ihr werdet mich nicht mehr sehen. Und noch einmal eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich wiedersehen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet leiden, doch euer Leid soll in Freude verwandelt werden.«
    Und ich sah, wie sie einander anblickten und Zwiesprache hielten miteinander: Ja, hat denn dieser in unsere Herzen gesehen? Hat er erlauscht, was wir beredeten mit jenem, der sich Saulus mal, mal Paulus nennt? Und sie waren voller Furcht, dass er ihre Absichten durchschaut hatte und dass er sich nun gegen sie wenden würde mit der Macht, die der Vater ihm verliehen hatte .
    Und wahrlich, er hatte sie durchschaut, doch noch immer verstanden sie nicht, dass alles, was geschah, mit seinem und des Vaters Willen geschah, auf dass das Wort erfüllt werde: Der Sohn Gottes muss erhöht werden .
    In jener Nacht aber, da ich an seiner Seite lag, da weinte ich, und ich weinte stumm, auf dass meine Tränen ihn nicht aufstörten aus dem Schlafe. Ich glaubte aber nur, dass er schlief, denn in Wahrheit wachte er gleich mir. Und als ich mich umwandte, da gewahrte ich, dass er mich unverwandt betrachtete, wie er es so oft getan hatte, wenn wir spät in der Nacht beieinanderlagen, ermattet von der innigen Umarmung. Dieses Mal jedoch glitzerten Tränen auch in seinen Augen .
    »Du weinst, Rabbi?«, fragte ich ihn. »Hast du denn Furcht?«
    Da sagte er mir, dass er sehr wohl Furcht habe, wie ein jeder Mensch Furcht habe vor dem Tod und dem Leiden. Sei er nicht wahrhaftig Mensch geworden? Wie wir wahrhaftig eins geworden seien in der Verschmelzung unserer Leiber, so müsse der Menschensohn nun auch die wahrhaftige Furcht erfahren und die Verzweiflung .
    »Doch warum bist du verzweifelt?«, drang ich da in ihn. »Hast du nicht gesagt, du gingest zurück zu jenem, der dich gesandt hat, um uns dort Wohnung zu bereiten? Hast du nicht zu uns gesprochen, unser Leid werde sich in Freude verwandeln? Hast du nicht gesagt, eine kurze Zeit nur, und wir werden uns wiedersehen?«
    Da aber erwiderte er, ja, so habe er zu uns gesprochen, und er habe die Wahrheit gesprochen. Wir alle, die Zwölf, wir hätten Anlass zum Frohlocken, denn kurz nur sei die Zeit der Leiden. » Wenn eine Frau ein Kind zur Welt bringt«, sprach er, »so muss sie leiden, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst, aus Freude darüber, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.« Für ihn aber sei nun die Stunde gekommen, diese Welt zu verlassen. Zwar werde er zurückkehren, doch er werde ein anderer sein, wenn er zurückkehre, und nie wieder werde er meinen Leib an dem seinen spüren. Er werde zurückkehren — zurück zu seiner Kirche, die zu begründen er Petrus aufgetragen habe, dem es doch so sehr danach verlangte. Und andere würden Petrus behilflich sein in seinem Tun, mein Bruder Jakobus und ich selbst und andere von den Zwölfen, allen voran aber Paulus .
    »Paulus?«, sagte ich da mit Schrecken. »Jener Saulus? Ja, weißt du denn nicht, was er insgeheim mit den Zwölfen redet? Was er über uns redet?«
    Da erwiderte er wiederum streng, dass auch dies nur geschehe, weil es geschehen müsse und weil es der Wille dessen sei, der ihn gesandt habe .
    »Aber kann jener denn wollen, dass du mir fortgenommen wirst?«, fragte ich ihn da voller Verzweiflung. »Kannst du denn gehen, und nur die Kirche lässt du zurück, die du Petrus gibst? Du bist der Gesalbte des Herrn, Rabbi, und ich verehre dich nicht weniger, als Petrus und die anderen es tun. Doch mehr als ich dich verehre, liebe ich dich. Und hieße es auch, dass ich dich beredete wie der Verführer selbst, dich anflehte zu bleiben, dich bewegte, die Aufgabe zu verraten , um deretwillen der Vater dich gesandt hat: Ich würde es tun, wenn du nur bei mir bliebest und deine Liebe.«
    Und ich legte meine Hand auf seine Brust, die ich so oft in Zärtlichkeit berührt hatte, und ich spürte, wie sie sich hob und senkte .
    »So wie mein Vater euch liebt, so liebe auch ich euch«, sagte er, und sein Atem ging schwer. Mich aber, das solle ich niemals vergessen, mich aber habe er geliebt, wie er keinen sonst geliebt habe. Auf andere Weise, als er die anderen geliebt habe, aber gerade diese Liebe habe ihm gezeigt, was es bedeutet: Ich bin Mensch geworden. Ohne diese Liebe nämlich hätte er niemals kennengelernt, was er jetzt empfände: den Verlust und die Trauer. Er wäre

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