Die letzte Offenbarung
an, stutzte — und mit einem Mal wusste er es.
Es war ein spanischer Akzent.
»Wir werden jetzt herauskommen«, sagte der Spanier. »Ich würde Ihnen nicht empfehlen zu schießen. Wirklich nicht, Herr Görlitz. Ich habe doch das Vergnügen mit Herrn Görlitz? Drei Läufe sind in diesem Augenblick allein auf Ihren Kopf gerichtet.«
Ein Knirschen, dann ein vernehmliches Schaben. Amadeo sprang beiseite. Das Regal! Das Regal, an dem noch immer die Leiter lehnte, die er eben hinabgekommen war. Es bewegte sich, glitt Zentimeter für Zentimeter in den Raum hinein, und dahinter...
Der Mann war dunkelhäutig. So dunkel, dass es aussah, als setze sich der dunkle Stoff seiner Soutane oberhalb des schneeweißen Priesterkragens fort, auf seinem schlanken, ebenholzschwarzen Hals, den klassisch geschnittenen, attraktiven Zügen.
Der Fremde war tatsächlich nicht allein. Hinter ihm betraten mindestens ein Dutzend Männer die Bibliothek. In ihren Tarnuniformen wirkten sie ein wenig fehl am Platze, doch die Art, wie sie sich bewegten, machte deutlich: Jeder Einzelne von ihnen war eine ausgebildete Kampfmaschine.
Genau wie Rebecca.
»Commandante« , sagte sie und grinste den Dunkelhäutigen an. »Por filo a la hora.«
Amadeo starrte den Mann in der Soutane an. Commandante. Das also war der Mann am Handy. Das war der Mann, den er sich als Computertüftler vorgestellt hatte, mit Brillengläsern wie Glasbausteine... Wäre er grün gewesen, mit kleinen Antennen am Kopf — Amadeos Überraschung hätte nicht größer sein können.
Der dunkelhäutige Priester erwiderte etwas auf Spanisch, grüßte den Restaurator mit einem freundlichen Nicken, wie man einen alten Freund begrüßt, und wandte sich Görlitz zu.
Finster starrte der Mann mit der Gelfrisur den Dunkelhäutigen an. »Sie bleiben jetzt genau dort stehen, wo Sie sind!«, fuhr er den commandante an, ehe der noch ein Wort hatte sagen können. »Keinen Schritt weiter!«
»Lieber Herr Görlitz«, sagte der Geistliche gelassen, »Sie wissen genau...«
»Dass Sie uns überlegen sind«, vollendete Görlitz. »Das weiß ich. Wenn wir jetzt alle anfangen zu schießen, legen Sie uns um, aber vorher, das schwöre ich Ihnen, sterben die beiden.« Er wies auf Amadeo und Rebecca, die waffenlos zwischen den Gruppen standen, und Amadeo wusste, dass es seinem einstigen Kollegen ernst war.
Wer hätte sich das vorstellen können?, grübelte Amadeo. Wer hätte sich das vorstellen können, damals in Weimar? Wer hätte sich das vorstellen können, noch gestern, als sie über ihrem rohen Fisch gesessen hatten?
»In der Tat«, sagte der commandante , »in der Tat. Das würden Sie vermutlich tun, und genau das nenne ich ein Patt. Nur«, seelenruhig trat er an eine der hüfthohen Erdkugeln, gab ihr einen kräftigen Schwung und versetzte sie in ihrem hölzernen Rahmen in Drehung, »frage ich Sie, was Sie damit gewonnen hätten? Hätten Sie dann den Isidor? Nein. Sie wären ja tot — ebenso einige, wenn auch sicher nicht alle, von meinen Männern. Aber gut. Könnten Sie mit Ihrem Tod, Ihrem Opfer den Gang der Ereignisse aufhalten? Ebenfalls nein. Amadeo und Rebecca wären tot, ich selbst vielleicht auch, aber meine Männer hätten den Isidor und damit den nächsten Teil der Papyri samt dem Hinweis auf die Fortsetzung. Weiterhin können wir auch in Zukunft auf die Hilfe von Professor Helmbrecht zählen, der sich mittlerweile an einem bedeutend sichereren Ort befinden dürfte.« Er betrachtete den Globus. Der Schwung, mit dem er die Erdkugel in Bewegung gesetzt hatte, begann allmählich nachzulassen, und sie wurde langsamer. Der commandante gab ihr einen neuen Schubs, einen ganz leichten nur, und sofort nahm sie wieder Fahrt auf. »Kennen Sie sich zufällig ein wenig in der Wetterkunde aus?«, fragte er den Mann mit der Gelfrisur.
»Was sollen diese Spielchen?« Die Mündung von Görlitz' Waffe ging zwischen Rebecca und Amadeo hin und her.
»Es gibt dort das Prinzip der Erhaltungsneigung«, erklärte der dunkelhäutige Mann. Seine Aufmerksamkeit schien weit stärker auf den Globus gerichtet als auf den Anführer von Bracciolinis Männern. »Damit eine bestimmte Wetterlage sich einstellt, sagen wir, eine Westdrift über Zentraleuropa, die eher regnerisches Wetter und nicht selten Sturm verspricht, müssen eine Reihe von Rahmenbedingungen erfüllt sein. Ein durchaus komplizierter, für das Zusammenspiel der Witterung sagen wir ruhig ›aufwendiger‹ Vorgang. Hat die Westdrift aber einmal
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