Die letzte Offenbarung
nicht Giulio Andreotti«, bemerkte Helmbrecht gut gelaunt. »Erst mal sind Sie heil wieder da und hatten einen guten Flug.«
Rebecca warf ihm einen Seitenblick zu. Er war sich nicht sicher, ob sie die Worte des Professor verstehen konnte, jedenfalls wollte er das Thema nicht vertiefen. »Sie wissen, wo der Codex liegt?«, fragte er. »Sie wissen, welches Buch wir suchen?«, fügte er betont hinzu.
»Aber natürlich«, erwiderte Helmbrecht ein wenig selbstgefällig. »Ich dachte nun wirklich, das würde Ihnen von allein aufgehen. Der Abakus. Na, klingelt's? Wir hätten sogar schon früher drauf kommen können, beim Boëthius nämlich. Sicher, es war der Trost der Philosophie , den wir suchten, keine mathematische Handschrift, und trotzdem: Wer war der führende Boëthius-Experte im frühen Mittelalter, hm? Dreimal dürfen Sie raten. Mit ›Ger‹ fängt er an, mit ›bert‹ hört er auf.«
»Silvester der Zweite.«, murmelte Amadeo.
Rebecca grinste ihn an wie ein Honigkuchenpferd.
»Bingo!«, kam es durch das Handy.
»Warum hätte uns der Boëthius...«, begann Amadeo verwirrt.
»Na, da kommen Sie schon noch selbst drauf«, ermunterte ihn der Professor.
Der BMW hatte eine Abzweigung erreicht und wandte sich nach rechts, nicht auf Rom zu, sondern direkt auf die grünen Colli Albani.
»Silvester war der Papst der ersten Jahrtausendwende«, sagte Amadeo langsam. »Er lebte Ende des zehnten Jahrhunderts. Sie wollen sagen...«
»Ich kenne diese Handschrift«, bestätigte der Professor. »Wir haben schon eine Weile vermutet, es könnte sich um Gerberts Autograph handeln. Da gibt es Randglossen, Hinweise auf Streichungen... Äußerst spannende Sache, mein Lieber, und interessanterweise der Fachwelt bis heute nicht bekannt. Ein...« Er hielt inne, als müsste er sich sammeln.
»Professor?«, fragte Amadeo.
»Alles in Ordnung«, sagte Helmbrecht. »Ein alter akademischer Freund von mir wollte vielleicht darüber publizieren und hat deswegen Kontakt mit mir aufgenommen. Doch dann kam alles etwas anders als erwartet, Sie kennen das. So viele Projekte und letztlich kommt man zu nichts. Eines Morgens wacht man auf und ist tot. — Sie hören mir zu?«
»Ich höre«, erwiderte Amadeo. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. »Sie wollen also wirklich sagen, unser Schreiber war ein Papst? «
»So ist es«, bestätigte Helmbrecht. »Unser geheimnisvoller Freund hat einen Namen bekommen, und es ist nicht irgendein Name. Gerbert war ja nicht sein Leben lang Papst.«
»Er war ein Universalgelehrter«, sagte Amadeo leise. »Völlig einzigartig. Die artes liberales ... Nichts, worüber er nicht geforscht hätte, womöglich sogar in Spanien, an den islamischen Hochschulen.«
»Genau da könnte ihm der Johannes in die Finger geraten sein«, bestätigte Helmbrecht.
Amadeo nickte. Die Erkenntnis war ein wichtiger Schritt, auch wenn er noch nicht begriff, was dieser wirklich bedeutete. Gerbert von Aurillac. Silvester II.
»Sie wissen, wo diese Handschrift liegt?«
»Das weiß ich. Sie werden lachen, Amadeo: keine zwanzig Minuten von Ihnen, nämlich...« Amadeo verdrehte die Augen. Helmbrecht liebte es, die Dinge spannend zu machen, und wenn er dem Professor jetzt auch noch einen Hinweis gab, dass er wie auf Kohlen saß, würde es noch länger dauern. Doch wusste er das nicht sowieso? »In Rom«, verkündete Helmbrecht triumphierend. »In der Biblioteca Apostolica.«
»Im Vatikan?«, fragte Amadeo verblüfft.
Er sah, wie Rebecca sich vorbeugte und dem Fahrer ein Zeichen machte. Im nächsten Augenblick wurde Amadeo heftig in seinen Sitzgurt gedrückt. Seine Rippe protestierte. Mit quietschenden Reifen bremste der Wagen auf freier Strecke, setzte zurück und wendete.
»Was soll denn das?«, fragte er verwirrt.
»Planänderung«, sagte Rebecca knapp.
Der commandante hatte bereits sein Handy gezückt und wählte eine Nummer.
»Ich glaube, wir machen uns gerade auf den Weg dorthin«, sagte Amadeo in die Sprechmuschel.
Helmbrecht lachte. »Ihre Frau Steinmann verliert keine Zeit. Ich glaube, die Dame gefällt mir.«
Mir auch, dachte Amadeo und sah auf die Uhr. »Zwei Stunden«, murmelte er, »um diese Zeit.«
Er ließ sich in den Sitz zurücksinken und beobachtete, wie der Wagen den Hinweisschildern zur SS1 4 8 folgte, der alten Via Pontina. Schon füllten sich die Straßen, und Minuten später steckten sie mitten im römischen Berufsverkehr.
Die Ewige Stadt hatte ihn wieder.
LXX
Am liebsten hätte Amadeo den Fahrer
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