Die letzte Offenbarung
bitten, jetzt möglichst leise zu sein«, sagte der commandante und senkte die Stimme. »Wir befinden uns nur ein paar hundert Meter vom Heiligen Offizium entfernt. Ich denke nicht, dass sie mit uns rechnen, aber man weiß ja nie.«
Der Sims, auf den die Tür sie geführt hatte, endete nach wenigen Metern. Der commandante ging in die Knie, was ihm in seiner Soutane etwas schwerfiel, und rutschte hinab. Rebecca folgte ihm, und nach einem Augenblick des Zögerns auch Amadeo.
»Was ist das für ein Tunnel?«, flüsterte Amadeo. »Wozu dient er?«
»Du kennst doch den Passetto di Borgo?«, antwortete Rebecca an Stelle des commandante . »Den Notausgang der mittelalterlichen Päpste, hoch über den Mauern des Borgo-Viertels?«
»Mich wundert, dass du ihn kennst«, erwiderte der Restaurator. Gerade ging ihm auf, dass er diese geheimnisvolle Frau, die auf so fulminante Weise in sein Leben getreten war, niemals gefragt hatte, wie gut sie Rom eigentlich kannte. Offenbar ziemlich gut. Sie mochte in Südamerika aufgewachsen sein, doch die Hauptstadt der Christenheit musste in dem Überall und Nirgends, in dem sie ihr Leben verbracht hatte, eine bedeutende Rolle gespielt haben — schließlich reichten ihre Verbindungen bis in den Vatikan.
»Stellen Sie sich das hier als eine moderne Version des Borgo vor«, sagte die Soutane tragende Verbindung mit leiser Stimme und leuchtete dabei den Weg vor ihnen aus. Der Gang war vielleicht zwei Meter breit und ebenso hoch, die Wände bestanden aus rohen Betonplatten. In der Decke waren Neonröhren angebracht, die gegenwärtig ohne Licht waren. »Ein Fluchttunnel in Zeiten der Gefahr. Nur dass die Würdenträger der Kirche sich heute nicht mehr in das Castel Sant'Angelo absetzen würden, sondern andere Möglichkeiten bevorzugen. — Kopf einziehen!«
Amadeo reagierte im letzten Moment. Von oben her hörte er das Dröhnen des Verkehrs. Offenbar ging es unter einer Straße hindurch.
»Es gibt etliche dieser Gänge«, fügte der commandante an. »Diesen hier kannte ich auch noch nicht.«
Der Weg endete vor einer weiteren Metalltür. Wieder zog der Mann in der Soutane den scheibenförmigen Gegenstand hervor, legte ihn gegen den blanken Stahl und schob ihn eine Weile hin und her. Schon spürte Amadeo, wie sein Puls, der sich eben um eine Winzigkeit beruhigt hatte, von neuem Fahrt aufnahm.
Ein kaum hörbares Klicken ertönte, und der dunkelhäutige Mann drückte die Tür auf. Auf der anderen Seite war Licht, und Amadeo atmete erleichtert aus. Es war nur eine dürftige Notbeleuchtung, aber es war Licht. Sie betraten einen fensterlosen Abstellraum. Amadeo war sich sicher, dass sie sich noch immer etliche Stockwerke unter der Erde befanden.
»Das ist das Heilige Offizium?«, flüsterte er.
»Der Keller«, murmelte der commandante und musterte den Raum, der mit allerlei Gerumpel vollgestopft war. Amadeo sah gewaltige Aktenberge, die nicht den Eindruck erweckten, als ob sich noch jemand dafür interessieren würde. Sonst hätte man sie wohl kaum auf dem feucht glänzenden Boden abgelegt, während eine Batterie von Scheuermitteln in einem Metallregal lagerte. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es eine weitere Tür, auch sie aus Metall.
Sie traten ein, und der dunkelhäutige Mann schloss die Tür zum Gang hinter ihnen. Er musterte Amadeo von oben bis unten. »Ziehen Sie sich aus«, forderte er ihn auf.
»Wie bitte?«
»Ziehen Sie sich aus«, wiederholte der commandante . »In dem hier fallen Sie weniger auf.« Er deutete auf seine Soutane.
»Und Sie?«
»Ich hoffe, ich passe da rein«, murmelte er und betrachtete Amadeo kritisch.
»Ich hab mir das nicht ausgesucht!«, verteidigte sich der Restaurator.
Aus irgendeinem Grunde brachte sie das alle drei zum Grinsen.
Der commandante streifte bereits seine Soutane ab, und darunter kam ein schwarzes T-Shirt zum Vorschein sowie eine Stoffhose von undefinierbarer Farbe. Amadeo schlüpfte erst aus seiner Hose, dann aus dem Pullover. Es war kühl hier unten. Automatisch hatte er sich von Rebecca abgewandt. An ihrem Gesichtsausdruck erkannte er, dass auch sie das bemerkt hatte, doch es war irgendwie... seltsam, wenn der Mann in der Soutane — jetzt ohne Soutane — zuschaute.
Der commandante streckte ihm seine Hose und die klerikale Robe entgegen, und Amadeo bemerkte die beachtlichen Muskeln an seinen Oberarmen. Was hatte einen Mann mit einer solchen Vergangenheit nur dazu getrieben, Priester zu werden? Oder war er überhaupt kein Priester?
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