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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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benommen. »Professor, wie haben Sie das nur gemacht?«
    »Das ist die höchste Vergrößerung?« Unter einer digitalen Lupe tastete Helmbrecht die Papyri Millimeter für Millimeter ab. »Bitte von unten etwas mehr Licht drauf, bitte. — Was gemacht?«
    »Das mit di Tomasi. Er war...« Noch immer schüttelte Amadeo den Kopf. Er tat, worum Helmbrecht ihn gebeten hatte, und drehte die in der Arbeitsfläche eingelassenen Strahler etwas höher. Die Papyri wurden durchscheinend wie bunte Kirchenfenster. Deutlich zeichneten sich die einzelnen Adern der Pflanzenfaser ab. »So habe ich ihn noch nie erlebt, Professor«, sagte Amadeo. »Und so habe ich auch Sie noch nie erlebt.«
    »Wir lernen unser Leben lang«, murmelte Helmbrecht. »Schau an, schau an, nicht übel.« Er pfiff durch die Zähne. »Das ist mal eine Augusta, würde ich sagen.« Er winkte Amadeo heran, ohne die Augen von der Lupe zu nehmen. »Sehen Sie sich das an! Vollkommen ebenmäßig. Die Römer kannten sechs verschiedene Qualitäten von Papyrus, und dieser hier ist mit Sicherheit von der besten überhaupt. Die Augusta. Die Kaiserliche.«
    Amadeo nickte: »Er muss ein Vermögen wert gewesen sein.«
    »Das ist anzunehmen«, sagte Helmbrecht, setzte seine Brille ab und hauchte sie an. Stirnrunzelnd putzte er die Gläser mit einem Zipfel seines Hemdes. »Das wirft gleichzeitig ein interessantes Licht auf die Umstände, unter denen der Schreiber lebte. Gedarbt hat er jedenfalls nicht.«
    »Aber die frühen Christen waren arm«, wandte Amadeo ein. »Die Apostel waren arme Fischer.«
    »Sie waren arme Fischer, als Jesus sie berief«, korrigierte Helmbrecht. »Irenäus von Lyon, ein Schüler des Polykarp, der selbst ein Schüler des Johannes war, berichtet allerdings, der Apostel sei erst unter der Herrschaft des Kaisers Trajan in Ephesus gestorben. Das war sechzig Jahre später.«
    »Da konnte er sich die beste Papyrusqualität leisten?«, fragte Amadeo stirnrunzelnd.
    Der Professor hob die Schultern: »Überlegen Sie mal. Der Mann war eine Berühmtheit, so was wie der letzte Überlebende der Titanic, nur noch eindrucksvoller. Der Letzte, der Christus noch persönlich gekannt hat. Den werden sie gehätschelt haben. Also, wenn ich ein Missionar gewesen wäre...« Er setzte die Brille wieder auf und grunzte zufrieden, als er sich erneut über die Papyri beugte. »Wenn ich ein Missionar gewesen wäre, hätte ich auch erst mal da missioniert, wo die Macht und das Geld sitzen. Dann kommt der Rest von allein. In Not und Elend wird er nicht gehaust haben.«
    »Sie glauben also wirklich, dass Johannes das geschrieben hat?«
    Der Professor entfernte sich ein Stück von der Lupe, rückte den Text vorsichtig zurecht und ging dann wieder näher heran. »Jedenfalls nennt er hier unten seinen Namen, als Jesus ihn anspricht: Ich komme wieder, noch zu deinen Lebzeiten, Johannes, werden wir uns wiedersehen . Im Evangelium, wie Sie wissen, nennt er ihn nicht, und das ist nicht der einzige Unterschied. Doch jetzt lassen Sie mich erst einmal in Ruhe lesen.«
    Helmbrecht begann den Text in altgriechischer Sprache vorzutragen und übersetzte dabei Satz für Satz. Amadeo konnte keine wesentlichen Unterschiede zu seiner eigenen Übersetzung feststellen.
    »Dies ist meine letzte Offenbarung«, murmelte der Professor. »Da bekommt man eine Gänsehaut.«
    Amadeo sah auf seinen eigenen Unterarm. Stimmt, dachte er. »Wenn ich mit allem gerechnet hätte... Und das stopft jemand in den Rücken eines Hortulus , als wäre es Abfall.«
    »Möglicherweise.« Helmbrecht sah nicht auf. »Bitte noch etwas mehr Licht.«
    Amadeo drehte die Strahler bis zum Anschlag auf.
    »Möglicherweise«, sagte der Professor nachdenklich, »war es etwas ganz anderes. Zum Beispiel genau das Gegenteil. Was, wenn jemand diesen Papyrus ganz bewusst versteckt hat?«
    »Versteckt?«, fragte Amadeo. In Wahrheit hatte sich dieser Gedanke auch schon in seinen Hinterkopf geschlichen. »Warum? Wer? Und vor allem: vor wem?«
    »Vielleicht verstehen wir noch nicht, was dieser Text zu bedeuten hat«, sagte Helmbrecht und tippte sich an die Schläfe, »aber dass er ein paar Dinge ganz anders erzählt, als die Evangelien das tun, sieht man ja nun auf den ersten Blick. In der Kirche gab es zu jeder Zeit eine Menge Leute, denen das alles andere als recht sein konnte.«
    »Also hätte jemand ihn versteckt, damit diese Leute ihn nicht in die Hände bekamen.«
    »Eventuell ja nur vorübergehend«, vermutete Helmbrecht. »Wer auch immer

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