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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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schlug er die Handschrift auf: Da waren sie wieder, die eleganten Buchstaben ihres unbekannten Freundes. Ob Görlitz wirklich wusste, wer sich dahinter verbarg? Oder war alles nur eine Finte gewesen? Amadeo hätte es zu gerne erfahren, doch auch der Boëthius lieferte auf diese Frage keinen Hinweis. Stattdessen öffnete Amadeo seine Ledermappe und machte sich mit der Pinzette ans Werk. Diese Arbeit war einfacher, als er zunächst angenommen hatte, und nach kurzer Zeit lagen elf Papyrusstreifen vor ihm auf der verkratzten Tischplatte:
Die letzte Offenbarung
    Als wir aber mit den Zwölfen gen Betanien zogen, dem Dorf des Lazarus' und seiner Schwestern Marta und Maria, und die Schatten Jerusalems, der hoch gebauten Stadt, über unsere Pfade fielen, da überkam mich ein Frösteln. Denn ich gedachte der Worte, die Jesus zu mir gesprochen hatte: »Sie sinnen, mich zu verderben.«
    Er aber erkannte es und legte die Arme um mich, während wir auf den steinigen Pfaden dahinschritten, und er küsste mich auf den Mund. Da spürte ich die Blicke des Petrus auf mir, und ich wusste, dass er Groll in seinem Herzen hegte gegen mich. Zu ihm nämlich hatte Jesus gesprochen: »Du bist der Felsen, auf dem ich meine Kirche bauen will, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwinden. « Ich aber war es, der an Jesu Schulter lag beim Mahle und mit dem er eins wurde, wenn wir alle des Nachts an den Feuern ruhten .
    Und so sprach Petrus jetzt: »Rabbi, so weißt du doch, dass jene in Jerusalem dich beäugen voll Zorn und Misstrauen, seit du dem Volke Zeichen gibst und am Sabbat heilst. Willst du die Pharisäer und Sadduzäer gegen dich aufbringen, hier, so nahe an ihrer eigenen Stadt, indem du zeigst, dass dieser dort dir mehr ist als ein vertrauter Freund? Wenn du denn schon bei diesem liegen musst, kann es nicht insgeheim geschehen im Dunkel der Nacht?«
    Da aber wurde Jesus zornig, und er sprach: »Wer bei Tage geht, der stößt sich nicht, denn er sieht das Licht dieser Welt. Wer aber bei Nacht geht, der stößt sich, denn es ist kein Licht in ihm.«
    Er sagte dies aber, weil er wusste, dass sie des Nachts miteinander über ihre Pläne beratschlagten, wie sie jene Kirche errichten könnten, die er dem Petrus verheißen hatte. Und sie waren in Sorge, dass es dazu nicht kommen würde, wenn das Volk erkannte, dass Jesus und ich taten, wie die Griechen tun .
    Und Jesus sprach: »Ich bin das Licht der Welt.« Wie könne denn das Licht der Liebe im Verborgenen leuchten? Wie könne das Licht denn leuchten, ohne dass es dem Volke offenbar werde?
    Als wir Betanien aber erreichten, da ging uns Marta entgegen, des Lazarus' Schwester, und sie klagte: »Herr, wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.«
    Da sprach Jesus zu ihr: »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, wenn er auch stürbe.«
    Marta aber kehrte zurück zu ihrer Schwester Maria und sprach: »Der Meister ist gekommen, und er verlangt nach dir.«
    Denn sie wusste sehr wohl, dass Jesus jene ganz besonders liebhatte. Als Maria aber zu ihm kam, und er sie weinen sah und hörte, wie auch sie sagte: »Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben«, da kamen auch ihm die Tränen. Und er schloss Maria in die Arme und tröstete sie. Ich aber stand nahebei, und ich sah, dass er sie mit ganz ähnlicher Zärtlichkeit berührte, wie er mich berührte. Doch ich verbannte meine Eifersucht. Denn hatte er nicht zu uns gesagt, dass wir alle einander lieben sollten?
    Jesus aber trat nun zum Grabe des Lazarus, Marta an der einen Seite, Maria an der anderen. Ich selbst folgte dichtbei und hörte, dass Marta ihn warnte: Er könne Lazarus nicht mehr sehen, denn er liege nun seit vier Tagen in seinem Grabe und stinke schon. Da wurde er zornig: »Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?«
    Da aber rückten sie den Stein vor dem Grabe fort, und Jesus rief mit lauter Stimme: »Lazarus, komm heraus!«
    Und Lazarus kam, die Füße und Hände mit Binden umwickelt und das Gesicht mit einem Tuche verhüllt. Jesus aber befahl den anderen, ihm die Binden und das Tuch abzunehmen, und schloss ihn in seine Arme .
    Dann führte er ihn zu mir und machte uns einander bekannt. Daran, wie er mich ansah, erkannte ich sogleich, dass auch er einer war, dem jene Liebe innewohnte, die der Rabbi und ich miteinander teilten. Und als die Nacht über Betanien lag, da ruhten wir beide, Jesus und ich, an den

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