Die letzte Praline
den Laien von Interesse sein, doch wirklich Wertvolles, das auch den Blick des Experten fesselte, gab es nicht. Nun nahm Bietigheim sich die Zeit, alles in Augenschein zu nehmen, denn hier konnte der Schlüssel zur Lösung des Falls liegen. Eine Vitrine zeigte alte Werkzeuge zur Bearbeitung von Kakaobohnen, Mühlen, Schöpfkellen, Gussformen. Wobei es ihm nicht darum ging, was er sah, sondern einzig darum, was nicht. Bietigheim schaute, zählte und inspizierte den feinen Staubfilm in den Vitrinen. Sein Blick drohte nach einiger Zeit schneller zu werden, doch er erhielt die Konzentration aufrecht, während Benno irgendetwas durch die menschenleeren Gänge jagte, vielleicht eine Maus, eine Motte, einen Lichtstrahl oder die Welt im Großen und Ganzen. Benno brauchte keinen Anlass, um seine verrückten fünf Minuten zu haben.
Dann sah der Professor es.
Oder besser: Er sah es nicht.
Nun passte alles, viel besser als sein schrecklich unbequemer Anzug.
Nur eine kleine Frage musste er noch stellen, mehr eine Formalie, doch die Antwort würde alles rund machen, die letzten feinen Ecken und Kanten wie Schleifpapier glätten.
Mareijke Dovendaan blickte nur ganz kurz auf, als er eintrat, doch dann drehte sie sich wort- und grußlos mit ihrem Stuhl zum Fenster. Das hätte Madame Baels nie getan, egal, wie viel sie zu tun hatte.
Er ging wieder hinaus, die Tür lautstark hinter sich schließend.
»Die Chocofee, also die erste, Beatrice Reekmans, wurde der Öffentlichkeit erst zur Weltmeisterschaft vorgestellt, nicht wahr?«, fragte er die Sekretärin.
Diese nickte. »Eine Idee von Frau Dovendaan.«
»Mhm«, sagte Bietigheim. »Wann haben die Chocolatiers von ihr erfahren?«
»Erst bei Ankunft. Jeder erhielt von Fräulein Reekmans eine Führung durch die Ausstellung.«
»Auch durch den Skulpturensaal von de Vaele?«
»Diesen Teil übernahm der Künstler bei jedem Wettbewerber selbst«, antwortete die Sekretärin.
»Noch eine letzte Frage.«
»Immer gern, Herr Professor. Wir sind alle sehr froh, Sie hierzuhaben.«
Bietigheim blickte in Richtung von Dovendaans Büro und hob die Augenbrauen. »Können Sie bitte kurz im Hotel ›De Boerenpummel‹ anrufen und Pit Kossitzke ans Telefon holen lassen?« Er brauchte ihn, auch wenn es Adalbert nicht leichtfiel, über seinen Schatten zu springen und Pit zu verzeihen, dass er sich nach dem Fund von van der Elsts Leiche einfach verdrückt hatte.
Nach kurzer Zeit war der Anruf getätigt. »Er ist dort seit Freitag nicht mehr gesehen worden, auch das Bett ist unberührt, Herr Professor.«
»Besitzen Sie ein Auto?«, wandte er sich nach kurzem Überlegen an die Vorzimmerdame.
»Ja, aber nur ein kleines«, entgegnete sie mit einem schüchternen Lächeln.
»Das wird reichen. Fahren Sie mich zu dem Parkplatz, in dessen Nähe Franky van der Elsts Leichnam gefunden wurde.«
»Bitte«, setzte er nach kurzer Zeit hinzu.
»Es eilt«, wenige Sekunden später.
Leider stand Pits Taxi, Alfons der Viertelvorzwölfte, immer noch auf dem Parkplatz.
Bietigheim machte sich Sorgen.
Zurück im Museum, lieh sich der Professor ein Fahrrad und trat in die Pedale, Benno von Saber vorn im Körbchen. Aufgrund der fehlenden Hosenklammern kam er sich zwar unangemessen gekleidet vor, doch er hatte noch einen Termin, einen sehr wichtigen, mit dem alles stand und fiel. Und noch einen zweiten, unangenehmeren, den er rasch hinter sich bringen musste. Die Zeit eilte. Alles musste bereit sein bei der Bekanntgabe des Weltmeisters – eine bessere Gelegenheit zur Demaskierung des Mörders würde er nicht bekommen.
Es gab ohnehin Dinge, bei denen man nicht viel Zeit verstreichen lassen durfte. Schokolade gehörte dazu. Bei dunkler ging es qualitativ nach zwei Jahren, bei Milchschokolade schon nach anderthalb Jahren und bei weißer nach nur einem Jahr rapide bergab. Wenn sie nicht originalverpackt war, natürlich deutlich eher. Und noch früher, wenn sie zu warm gelagert wurde, denn dann bildete sich Fettreif, der aussah wie Schimmel, oder zu kalt, dann wurde sie bröckelig. Zuckerreif bildete sich dagegen, wenn man Schokolade aus einer kalten Umgebung schlagartig in eine warme brachte. Und auch das ging auf Kosten der Qualität.
Manchmal durfte einfach nicht gewartet werden.
Nach kurzer Zeit führte Adalberts Weg ihn am Fritten-Atomium vorbei. Das ausgehärtete Fett hielt die Abscheulichkeit in Form.
»Benno, fass! Bereite diesem Augenschmerz ein Ende!«, sagte er zu seinem hechelnden Vierbeiner, worauf
Weitere Kostenlose Bücher