Die letzte Praline
Aussichtsplattform. Man verbringt mehr Zeit mit einem Kuchen, schwelgt darin, flaniert. Der gustatorische Effekt, welcher bei einer Praline laut und überwältigend sein darf, muss bei einem Kuchen subtiler gesetzt werden. Es geht um einen Genuss, dem man sich länger als einen Moment anvertraut. Der einen nicht ermüden darf, sondern uns in seinen Bann zieht, bis man sich nicht mehr von ihm verabschieden will. Wir haben heute acht herausragende Torten sehen und probieren dürfen, von Meistern ihrer Kunst, die Schokolade zu dem ihr zugewiesenen, edelsten Zweck verarbeiten: um gegessen zu werden. Denn das ist es schließlich, worum es geht. Nicht um die bloße Freude des Auges.«
Ein missfälliges Grunzen verriet Adalbert, dass sein Pfeil Edward Macallan getroffen hatte. Wunderbar!
»Die Kunstwerke wurden nach technischer Schwierigkeit, Optik, Geschmack sowie Kreativität beurteilt. Denn ein großer Chocolatier ist kein Kopist, er ist ein Schöpfer.«
Für diese Runde waren extra einige ehemalige Weltmeister eingeflogen worden, um die Jury zu verstärken. Der Professor stellte nun alle vor und bat sie zu sich. Sie alle trugen eine Kochmontur samt Toque.
Eigentlich wäre nun der Moment gewesen, um offiziell mitzuteilen, dass alle Teilnehmer sich schriftlich verpflichtet hätten, nur noch fair gehandelten Kakao zu verwenden, doch es war einfach keine Zeit gewesen, ihnen und vor allem Cloizel eine Zusage abzuringen. Deshalb war es nun Zeit für die Schweigeminute zu Ehren der verstorbenen Jana Elisa da Costa. Ohne Absprache schloss der Professor gleich noch eine für Beatrice Reekmans an, die im Trubel bisher unverzeihlicherweise vergessen worden war.
Die Stille war bedrückend.
Alle atmeten auf, als Adalbert wieder das Wort ergriff und sich bedankte.
»Ich darf nun alle acht Chocolatiers in die Manege bitten, um sich rechts von mir aufzustellen.« Einzeln rief er sie auf, und sie betraten unter dem Jubel aller – vor allem ihrer extra angereisten Fans – das Rampenlicht. Den lautesten Beifall erhielt Lokalmatador Franky van der Elst, wogegen sich Jón Gnarr mit höflichem Applaus zufriedengeben musste.
»Der erste Finalist ist«, Adalbert machte eine lange Pause und kostete die Ungeduld des Publikums aus, »Pierre Cloizel aus Frankreich!« Lang anhaltender Applaus. »Seine französische Torte ist ebenso klug wie köstlich. Eine kleine kulinarische Tour de France in Tortenform.« Noch einmal brandete tosender Beifall auf. »Als Nächsten darf ich nach vorne bitten …«, diesmal ließ er sich sogar so lange Zeit, bis die ersten Pfiffe erklangen und jemand »Nu sag schon!« brüllte.
»… Edward Macallan aus Schottland!« Der Chocolatier rannte mit hochgerissenen Armen auf das Podest und sprang vor Freude in die Höhe, wobei er die Fersen seiner Schuhe zusammenschlug. Bei ihm mochte alles spielerisch aussehen, doch als Adalbert die Meerestorte gekostet hatte, war ihm sofort klar geworden, wie genau und exakt dieser Mann arbeitete. Sein Auftritt war Show, doch dahinter steckte ein herausragender Chocolatier.
»Van der Elst!«, brüllte nun jemand aus dem Publikum. »Wir wollen van der Elst!«
Adalbert senkte beschwichtigend die Arme. »Selbstverständlich wollen Sie Ihren Lokalmatadoren im Finale sehen. Seine Kreation war sehr gewagt.« Um nicht zu sagen, unanständig. Was hatten Brüste schon mit Schokolade zu tun?
»Der dritte Finalist ist …« Gespannte Stille lag im Raum. »… Franky van der Elst!«
Adalbert gefiel es nicht, aber einige Jurymitglieder waren von der Obszönität durchaus beeindruckt gewesen – und sie hatte tatsächlich durchaus gut geschmeckt. Besonders der später noch angelegte Karamell-BH. Ausschlaggebend war allerdings Madame Baels gewesen, die mehrere Unentschlossene dazu bewegt hatte, die Stimme für ihren Landsmann abzugeben. Mit Engelszungen hatte sie auf manchen eingeredet, anderen hatte sie, wenn gar nichts sonst mehr half, totale Unfähigkeit unterstellt. Adalbert hatte dies durchaus verletzt, doch gezeigt hatte er es selbstverständlich nicht. Und einer demokratischen Entscheidung stellte er sich niemals in den Weg.
Der nun ertönende Jubel war ohrenbetäubend. Mit zwei erhobenen Daumen und einem abfälligen Blick auf den Professor bestieg der Belgier das Podest.
»Nun zu unserem vierten und letzten Finalisten«, fuhr der Professor fort. Bill Bulldoss, Vanessa Hohenhausen, der amtierende Weltmeister Urs Egeli, Jón Gnarr und Ottavio Bertinotti standen noch zu seiner
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