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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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paar Meter auseinander, dann können wir das Gelände effektiver durchkämmen, ist doch sehr dicht bewachsen alles. Vielleicht ist er irgendwo hingefallen und hat sich was gebrochen oder so.« Pit glaubte nicht daran, kein bisschen, und er sah in Emiles Gesicht, dass es diesem nicht anders ging.
    Zuerst suchten sie rechter Hand alles ab, sicher einen halben Kilometer bis zu dem Abschnitt, wo die Treppe des nächsten Parkplatzes emporführte. Sie fanden nichts außer Müll und einem Haufen verkohlter Holzscheite, daneben leere Bierflaschen und benutzte Kondome.
    Als sie zurück am Startpunkt waren, redeten sie bereits kein Wort mehr miteinander. Schweigend machten sie sich linker Hand ihres Parkplatzes auf den Weg bis zu der Baracke der Strandwacht. Wieder nichts. Auf dem Rückweg wurden sie mit jedem Schritt langsamer.
    Pit dachte daran, den Professor anzurufen – dann kam ihm eine Idee. Eine, die ihm viel früher hätte kommen müssen. »Sag mal, hast du dein Handy dabei? Und die Nummer deines Vaters?«
    Zögernd zog Emile es hervor, seine Finger zitterten, als er die Nummer eingab. Dann klingelte es.
    Wenige Meter von ihnen entfernt.
    Nicht im Richtung Meer ausgerichteten Nordhang der Dünen, der mit Strandhafer, -roggen und -disteln überwuchert war, sondern in dem Teil, der auf das Land blickte und wo unzählige Holunder- und Sanddornbüsche wuchsen.
    Es klingelte fünfmal, dann schaltete sich die Mailbox ein.
    Pit nahm Emile das Handy aus der Hand und drückte Wahlwiederholung. Als das Klingeln abermals erklang, fiel er fast die Treppe zum Parkplatz hinunter, so eilig versuchte er, es zu erreichen. Dann schob er sich wie eine Urgewalt durch das dornige Gestrüpp, seine von der festen Lederjacke geschützten Arme voraus – als würde King Kong den Dschungel niederreißen.
    Er fand Franky van der Elst gute zehn Meter von der Treppe entfernt.
    Der Chocolatier lag auf dem Rücken, ohne Joggingkleidung, komplett nackt. Sein massiger und stark behaarter Körper war vom Haaransatz bis hinunter zum Geschlecht mit Schokolade bedeckt. Über diese liefen mehr als ein Dutzend unterschiedlichste Insekten, einige hatten sich auch an ihr gelabt und waren kleben geblieben.
    In Franky van der Elsts Hals steckte schwarzes Glas – aus den Wunden war jedoch kaum Blut gedrungen. Pit erkannte sofort, dass der Belgier nicht erstochen worden war. Franky van der Elst war erstickt. Es wäre Pit lieber gewesen, er wüsste nicht, wie ein erstickter Mensch aussah. Doch es war genau wie damals, als dem alten Sturzbecher eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und mit Paketband um den Hals verschnürt worden war.
    Es hatte nicht lange gedauert.
    Die aufgerissenen Augen, der verzerrte Mund, van der Elst war wie eine Fotokopie des Toten in Hamburg.
    Noch bevor Emile an Pit vorbei zur Leiche gehen konnte, fuhr dieser seinen Arm aus, unüberwindbar wie die Grenze nach Nordkorea. »Nicht gucken, glaub mir, nicht gucken. So willst du deinen Vater nicht in Erinnerung behalten. Vertrau mir, ich weiß, wovon ich rede. Es tut mir echt leid, Kleiner.«
    »Ich will aber, ich muss. Lassen Sie mich durch!« Erfolglos versuchte er, Pits Arm wegzudrücken.
    »Nein. Er hätte nicht gewollt, dass du ihn so siehst.«
    »Ich will zu ihm!«, brüllte er.
    Pit drückte ihn fort, auch als Emile anfing, auf ihn einzuschlagen, er schob ihn zurück auf die Treppe und drückte ihm so auf die Schultern, dass er nicht anders konnte, als sich zu setzen.
    Dann nahm Pit sein Handy und wählte schnell eine Nummer. Nicht die der Polizei, sondern die von Bietigheim. Doch der ging nicht ran. Vielleicht hatte er sein Handy längst in einer Gracht versenkt. Also rief er Madame Baels an, um den Professor zu erreichen.
    Eine halbe Stunde später war Bietigheim an der Küste. Benno von Saber hatte er in der Obhut Mareijke Dovendaans im Museum gelassen, wo er am Morgen eine Besprechung mit den anderen Jurymitgliedern gehabt hatte.
    Pit war nirgendwo zu entdecken.
    Emile van der Elst saß auf der Treppe, die vom Parkplatz auf die Düne führte, und hatte sein Gesicht in den Händen vergraben. Als Bietigheim ankam, zeigte er wortlos in die Richtung, in der sein Vater lag.
    Es war dem Professor unangenehm, durch das Gestrüpp zu gehen. Es drohte den Maßanzug zu schädigen und die Frisur zu zerzausen. Er brauchte lange, bis er jeden einzelnen Zweig weggedrückt oder abgebrochen hatte. Madame Baels folgte ihm. Sie war aschfahl. Den ganzen Tag schon war sie ausgesprochen schlecht

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