Die letzte Prophezeiung: Thriller (German Edition)
es war nie nötig, ein verzweigtes Schutzsystem zu schaffen. So ist das Geheimnis stets in den Händen von nur zwei Personen geblieben: dem Meister und dem Hüter
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Liam und Alanna schauten einander besorgt an.
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Mehr noch: Kein Meister vor mir hat je von der Existenz der Bruderschaft erfahren. Die Hüter des Orients haben ihre Existenz immer absolut geheim gehalten. Es war der letzte Hüter, der mir, zum ersten Mal in der langen Traditionslinie, von dieser Geschichte erzählt hat, als er sein Ende nahen sah. Letzten Februar flehte er mich an, ich solle ihn, außerhalb der von der Regel vorgesehenen Sonnwendzeit, besuchen. Zuerst war ich verwundert, dann erkannte ich jedoch seine Verzweiflung. Ich traf die größten Sicherheitsvorkehrungen, hielt meine Reise und meine Identität geheim, und er setzte mich über eine schlimme Gefahr ins Bild.
Und das ist der Grund, warum ich heute in größter Sorge bin und sogar um mein Leben fürchte. Der alte Hüter erzählte mir, dass einige Jahrhunderte nach der Gründung der Bruderschaft in deren Reihen ein Streit entbrannte, in dessen Folge sich die traditionellen ›Offenbarer‹ plötzlich einer neuen Strömung der ›Vernichter‹ gegenübersahen. Kurz: Die ›Offenbarer‹, die man vor langer Zeit nach dem Überbringer der Rollen, Arius, auch als ›Arische Bewahrer‹ bezeichnete, sind treue Hüter von Konstantins Willen, die Prophezeiung heimlich aufzubewahren, um sie zur rechten Zeit publik zu machen. Die ›Vernichter‹ dagegen, die man auch ›Chiliasten‹ nennt, meinen, die Prophezeiung sei unausweichlich, und daher müsse man die Schriftrollen vernichten, damit nichts der Vollendung der Apokalypse nach dem göttlichen Willen im Wege stehe – im Widerspruch zu Konstantins Verfügung.
Der alte Hüter verriet mir auch, im Angesicht des Todes, dass die Vernichter seit Jahrhunderten intrigieren, um einen ihrer Männer als ›Gran Cofto‹ des Orients einzusetzen, mit dem Ziel, an die Schriftrolle zu gelangen und sie zu vernichten. Bedenke, dass niemand, mit Ausnahme derjenigen, die einander in der Funktion des Hüters abgelöst haben – bis heute natürlich allesamt ›Offenbarer‹ – je von der Existenz einer Stätte im Okzident und einer zweiten Schriftrolle erfahren hat.
Der alte Hüter gestand mir unter Tränen, dass der von ihm selbst ausgewählte Nachfolger in Wahrheit ein ›Vernichter‹ sei, der sich im Laufe der Jahre geschickt eingeschlichen habe. Er weinte lange, erschüttert über den Fehler, den er fürchtete, begangen zu haben. Ich versuchte ihn zu trösten, hatte aber, als ich ging, einen Stein auf dem Herzen: Ich konnte nichts mehr tun, um die Gefahr abzuwenden, denn die Nachfolge war bereits vollzogen, die Regel mitgeteilt.
Der Hüter starb wenige Tage später. Voller Beklemmung erwartete ich die Sommersonnenwende, um die Einsetzung des Nachfolgers vorzunehmen und ihm erstmals Zugang zur Krypta zu verschaffen. Ich hoffte brennend, dass der alte Hüter sich getäuscht haben mochte, und als ich aufbrach, war ich völlig außer mir, von Zweifeln zerfressen.
Vom Augenblick des rituellen Erkennungsgrußes an, als der neue Hüter auf mein ›
Tempus venturum, Custos
‹
korrekt mit ›
Volumen servandum, Magister
‹
antwortete, missfiel mir der Mann. Ich dachte, dass dieser negative Eindruck von meinem bösen Verdacht diktiert werde. Gemäß der Regel stiegen wir zur Krypta der sechshundertsechsundsechzig Sanduhren hinab, und abgesehen von dem Weihrauch, den der Hüter als Neuerung in das Zeremoniell hatte einführen wollen, verlief alles nach der Tradition. Ich spürte eine gewisse Erleichterung, als ich ihn, gemäß der Regel, über die Existenz des Hüters des Okzidents und der zweiten Schriftrolle aufklärte.
Nun, genau in jenem Augenblick wurde mir klar, dass sich der alte Hüter nicht getäuscht hatte: Das Antlitz seines Nachfolgers wurde schlagartig fahl, seine Miene hart und feindselig, seine Lippen fingen leicht zu beben an, was er nicht überspielen konnte. Es war offensichtlich, dass ihn diese Nachricht aus der Fassung gebracht hatte. Er fing an, mich mit Fragen zu bestürmen, auf die ich natürlich, in Erfüllung meiner Rolle, keine Antwort gab. Er insistierte, sein Blick schien mir zu drohen. Ich fürchtete um meine Unversehrtheit. Als wir uns verabschiedeten und wieder unter freien Himmel traten, atmete ich tief durch: Es kam mir wie eine Befreiung vor.
Liam, Du weißt jetzt, was für eine gewaltige Gefahr droht:
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