Die letzte Prophezeiung: Thriller (German Edition)
zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Dann kniff er die Augen zusammen, als wollte er das Bild auf dem Monitor scharf stellen. »Verkleinere die Seite mal auf zehn Prozent.«
Sie führte es aus, ohne Fragen zu stellen.
»Jetzt steh auf und komm bitte hierher«, bat er sie.
Als Alanna neben ihm stand, fragte er ganz aufgeregt:
»Was siehst du?«
»Ein C«, antwortete sie mit zufriedenem Grinsen.
»Genial«, murmelte Liam und strahlte sie an. »Er hat einfach die grauen Kästchen wie Pixel verwendet: Jede Seite entspricht einem Buchstaben des Alphabets. Dann hat er nach einem Zufallsprinzip Zahlen und schwarze Kästchen eingestreut.«
»Ein völlig simpler Code.«
»Jetzt schon«, foppte Liam sie amüsiert. »Aber jemand, der Molteni nicht kannte, hätte darüber bis ans Ende seiner Tage grübeln können. Vielleicht sogar mit einem Zahlensequenzanalysator.«
Alanna steckte diese Spitze weg und knuffte ihn dafür freundschaftlich. Dann kam ihr ein Zweifel: »Wie aber hat er es geschafft, Hunderte solcher Seiten in einer Nacht zu produzieren?«
»Ganz einfach«, antwortete Liam. »In Wirklichkeit brauchte er nur wenige: für jeden Buchstaben des Alphabets eine. Danach musste er sie nur noch kopieren.«
Alanna nickte. Dann senkte sie eine Weile den Blick, in Gedanken versunken.
»Los, bist du nicht neugierig?«
»Ich weiß nicht, Liam. Wir haben vorhin schon darüber gesprochen: Molteni hat das alles getan, um ein Geheimnis zu hüten, das für dich bestimmt war. Ich habe damit nichts zu schaffen.«
»Das ist wahr. Aber wir sind übereingekommen, dass wir sowieso schon beide bis zum Hals da drinstecken. Und in gewisser Weise steckt auch David mit drin. Wir sind alle involviert, und dir steht genauso wie mir zu, die Wahrheit zu erfahren.«
Er machte eine Pause und redete dann in flehendem Ton weiter, wie jemand, der auf Hilfe baut: »Alanna, ich brauche dich jetzt. Eine ganze Welt stürzt für mich ein, und allein komme ich damit nicht klar. Hilf mir, ich bitte dich.«
Sie nickte und bewegte sich langsam auf den Schreibtisch zu.
»Such Papier und einen Stift«, sagte er. »Ich diktiere dir nach und nach die Buchstaben, während du die Seiten durchscrollst.«
Sie holte ein Notizbuch und einen kleinen Füllfederhalter aus ihrer Handtasche und setzte sich neben den Monitor.
Liam fing zu buchstabieren an: »Ein L, ein I, ein E, ein B, ein E und ein R. Dann ein L, ein I, ein A und ein M.«
»Lieber Liam!«, rief sie aus, indem sie die Buchstaben nacheinander las. Begeistert drehte sie sich nach ihm um.
Er lächelte sie an: »Buchstaben, Zahlen … und jetzt suchen wir die Götter.«
43
Ort: Klausurkloster der Benediktinerinnen Mater Ecclesiae
Weltzeit: Freitag, 26. Juni, 22.27 Uhr (GMT)
Ortszeit: Samstag, 27. Juni, 00.27 Uhr
Durch das weit aufgerissene Fenster über dem Ostufer des Sees strich nicht der leiseste Windhauch herein. Die Schwüle ließ nicht nach, und hier, im Flügel der Zellen, stieg die Luftfeuchtigkeit dank der Hitze, die das Dach nach unten in den Bau abstrahlte, noch weiter an. Draußen verdunkelte eine dicke Wolkenwand die Sterne.
Mutter Valeria schloss hinter sich die Tür zum Arbeitszimmer und drehte den Schlüssel zwei Mal um. Sie setzte sich an den kleinen Schreibtisch, wischte sich die schweißnassen Hände an der Schwesterntracht ab, dann holte sie einen weißen verschlossenen Umschlag aus der Schublade. Es war ein Brief der Novizin an ihre Mutter, den die Oberin aus der Kiste mit der Ausgangspost genommen hatte. Ihre Rolle schrieb ihr leider auch das vor.
Mit einem Seufzer nahm sie aus dem Wandschrank die elektrische Kochplatte und schloss sie an die Steckdose an. Dann stand sie auf, füllte in dem kleinen Bad ein Töpfchen mit Leitungswasser und stellte es auf die Heizspirale, die bereits glühte. Sie wartete einige Minuten, bis das Wasser kochte, dann hielt sie den Umschlag mit der Seite des Klebefalzes über den Dampf. Als der Rand aufgeweicht war und sich langsam zu wellen begann, schob sie vorsichtig den Brieföffnerdarunter und fuhr den gesamten Klebestreifen entlang. Sie legte den Umschlag hin und ließ ihn einen Moment abkühlen, dann zog sie den Brief heraus, wobei sie sorgsam darauf achtete, ihn nicht zu zerknittern. Sie breitete das Blatt auf der Schreibfläche aus, setzte die Lesebrille auf und rückte die Öllampe heran.
Ihre Augen arbeiteten sich durch die kleine, ordentliche Handschrift der Novizin:
Liebe Mama,
ich mache mir
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