Die letzte Reifung
Schwätzen zu finden. Diesmal war es ja ausnahmsweise mal zu etwas nütze. Ich werf mir nur schnell etwas über.«
Dies dauerte – bei aller Tierliebe – eine halbe Stunde. Dann aber stand eine andere Frau vor Jan. Rund zehn Jahre jünger, mit rosigen Wangen, vollen Lippen und einem größeren Busen.
Jan trug Benno der Tarnung halber die ganze Strecke. Madame Martine sah immer wieder auf die Uhr und schüttelte dabei den Kopf. »Eigentlich müsste er um diese Uhrzeit da sein. Die Käse müssen schließlich jeden Tag gepflegt werden. Und außer ihm darf das nur Rolland machen, aber der ist gerade im Urlaub. Sehr merkwürdig. Hervé ist sonst sehr gewissenhaft. Die Käse sind so etwas wie seine Kinder.«
Hoffentlich verkaufte er die nicht ebenfalls pfundweise.
Sie schloss klackend die alte Tür auf. Der Laden roch, als hätte er eine Lüftung nötig.
»Oh, da ist ja auch mein Strohhut!«, sagte Jan, als er eintrat.
»Ihrer?«, Madame Martine sah ihn skeptisch an. »Das ist nicht Ihrer. Der gehört einem älteren Herrn, der gestern Nachmittag hier war.«
»Sieht genau aus wie meiner. Na, der Bursche wird sich sicher ärgern, das schöne Stück vergessen zu haben. Was war das denn für einer?«
Nun beäugte ihn Madame Martine kritisch. »Wer sind Sie wirklich, und was wollen Sie hier?«
Er atmete tief durch und streckte dann die Hand aus. »Mein Name ist Jan Bietigheim, und ich bin auf der Suche nach meinem Verwandten Adalbert, dem dieser Hut gehört und der seit gestern verschwunden ist.«
»Sie haben mich also angelogen. Raus! Sofort!«
»Aber …«
»Sofort.«
Doch warum sollte er auch bleiben? Hier war Adalbert ganz offensichtlich nicht. Die Lichter waren aus, es war nichts zu hören, die Tür zum Büro im Hinterzimmer stand offen, auch dort saß niemand. Jan öffnete bereits die Ladentür, als Benno sich plötzlich benahm, als hätte er neue Batterien eingesetzt bekommen. Er sprang an einer schweren dunklen Tür hoch, kratzte und bellte.
»Was ist dahinter?«, fragte Jan derart streng, dass die überraschte Madame Martine ihm ohne Zögern antwortete.
»Der Käsekeller.«
»Haben Sie einen Schlüssel?«
»Das hier ist der Generalschlüssel«, sagte sie mit Blick auf den Bund in ihrer Hand. Noch bevor sie die Tür richtig geöffnet hatte, schoss Benno kläffend durch den Spalt und rannte die dunklen Natursteinstufen hinunter.
Als Jan im Keller ankam, fand er statt einer Adalbert-Bietigheim-Leiche einen quietschvergnügten Universitätsprofessor vor.
»Aha, nun erfolgt meine Vertreibung aus dem Paradies!«, begrüßte er Jan fröhlich. »Ein Stück Brie de Meaux zum Frühstück gefällig?« Mit seinem Schweizer Offiziersmesser schnitt er großzügig eine Ecke ab. »Käse immer wie eine Torte schneiden, ganz wichtig. Das ist das Erste, was ich meinen Studenten im Käseseminar predige.«
Der Professor stand neben einem Bett aus … ja, aus was eigentlich? Jan ging näher heran. Was wie eine löchrige Matratze aussah, war in Wirklichkeit eine Ansammlung von Weißschimmelkäsen, die dort, wo Adalbert gelegen hatte, nun leicht eingedellt waren. Als Kopfkissen hatte er einen großen Laib Hartkäse ausgewählt. Der Professor bemerkte den verwunderten Blick seines Verwandten. »Habe wunderbar darauf geschlafen und geträumt wie ein Neugeborenes. Die Käse wärmen angenehm von unten. Wirklich herrlich, könnte ein Trend werden. Camembett statt Camembert.«
»Was machen Sie denn hier unten?«, wollte nun Madame Martine wissen.
»Monsieur Picard hat mich wohl aus Versehen eingesperrt und vergessen. Ein schreckliches Missverständnis, nehme ich an. Wo steckt er denn jetzt, der Maître?«
Madame Martine zog ihr Handy hervor und ging damit die Treppe hinauf, weil sie im Keller keinen Empfang hatte. Jan und der Professor folgten ihr und lauschten dem Gespräch.
Am anderen Ende der Leitung war die Frau von Monsieur Picard. Dieser sei am Vortag ganz plötzlich verreist, noch vor dem Abendessen, und hätte selbst ihr nicht gesagt, wohin. Ans Handy würde er nicht gehen. So kenne sie ihn gar nicht, in dreiundzwanzig Jahren Ehe sei so etwas noch nie vorgekommen. Und dass er jemanden aus Versehen im Keller einsperre, sehe ihm gar nicht ähnlich. Vielleicht handele es sich bei dem Mann ja um einen Einbrecher?
Madame Martine antwortete, dass er danach weiß Gott nicht aussehe.
»Etwas ist faul im Staate Dänemark«, befand Adalbert Bietigheim.
Jan suchte seine Taschen nach einer Kopfschmerztablette ab. »Und im
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