Die letzte Reifung
zu Monsieur Vesnin, Madame.«
»Das geht leider nicht. Er hat heute furchtbar viele Termine.«
»Es wird zu seinem Vorteil sein.« Der Professor reichte ihr seine Visitenkarte. Dank des Wappens der Hansestadt konnte sie einfache Gemüter beeindrucken.
»Behalten Sie Ihre Visitenkarte, so eine kann sich heute ja jeder am Computer ausdrucken.«
»Ich bin Professor Adalbert Bietigheim von der Universi …«
»Wollen Sie Käse kaufen?«
»Ich? Wieso?«
»Wenn Sie ein Kilo Käse kaufen, egal, welcher Sorte, lasse ich Sie zu ihm.« Sie lächelte wie ein alter Haifisch.
»Wie bitte?«
»Sie können auch verschiedene Stücke nehmen, die zusammen ein Kilo ergeben. Ganz wie es Ihnen beliebt. Wenn Sie möchten, können Sie auch gerne noch etwas darüber nachdenken. Aber dann müssen es anderthalb Kilo sein.«
»Was? Weshalb denn?«
»Weil Monsieur Vesnin dann weniger Zeit hat, von der er Ihnen etwas abzwacken kann. Angebot und Nachfrage.« Sie blickte auf ihre Armbanduhr. »Oh, es sind schon 1 Kilo und 100 Gramm.« Sie tippte dagegen. »120 Gramm.«
»Ist ja gut. Stellen Sie mir etwas zusammen.«
»Ah, ich merke schon, ein echter Kenner, also nur vom Besten.«
Und teuersten, dachte der Professor, und fühlte sich ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Die erpresserische Verkäuferin ging mit ihm zur Kasse und griff auf dem Weg scheinbar wahllos Käse aus den Kühlregalen. Hinter diesen hing ein Bild von ihr an der Wand. »Mitarbeiterin des Monats«. Und daneben noch eins und noch eins – es waren nur Fotos von ihr. Sie hielt diesen Titel anscheinend seit Eröffnung der Käserei. Ungeschlagener Champion in allen Klassen.
Kurze Zeit später – und mit 1150 Gramm Käse beladen – stand Bietigheim dem Käsemagier gegenüber.
Auf Fotos sah er größer aus. Viel größer. Und dünner. Sowie, nun ja, majestätischer. Monsieur Vesnin war dem Aussehen nach ein Wurzelgnom, vom Benehmen her jedoch ein Sonnenkönig.
»Sie wünschen?«
»Ich möchte ein Praktikum bei Ihnen absolvieren.«
»Sie möchten bei mir ein Praktikum absolvieren?« Er sprach sogar, als wäre er der rechtmäßige Regent des Landes.
»Jawohl, und zwar sofort.«
»Sofort? Das kann nicht Ihr Ernst sein.«
»Meine Hände habe ich bereits gewaschen.«
»Sie sind alt.«
»Erfahren.«
So kam Bietigheim nicht weiter. Und die Erwähnung seiner Kulinaristik-Professur würde vermutlich gar nichts bringen. Doch die Schwachstelle Monsieur Vesnins war unübersehbar. Der Zwerg war stolz. Genau an diesen Stolz galt es zu appellieren.
»Wirklicher Käse ist wie Wein«, begann der Professor. »Er muss aus ganzem Herzen geliebt werden. Erst wer ihn liebt, erkennt Abweichungen von industriell genormter, seelenloser Perfektion als Qualität und Charakter. Nur wer ihn liebt, kann eine neue Landschaft entdecken. Ihre Käse sind für mich wie das Zentralmassiv. Und keine Gegend liebe ich mehr.«
Monsieur Vesnin fuhr sich durch die wallenden Zwergenhaare.
»Eine Woche!« Er hob seinen winzigen Zeigefinger. »Eine Woche versuchen wir es. Und dann entscheide ich weiter. Es gibt keine Bezahlung, kein Mittagessen, keine Unterkunft.«
»Nicht nötig, nicht nötig«, beeilte sich der Professor zu sagen. »Schließlich ist es eine Ehre, hier zu lernen.«
Vesnin zog die Augenbrauen empor. »So ist es. Melden Sie sich bei Emanuelle im Käselabor. Durch die Plexiglastür links. Sie wird Ihnen alles erklären.«
Bevor Monsieur Vesnin es sich anders überlegen konnte, verschwand der Professor mit einer Verbeugung in Richtung Käselabor. Es sah genauso aus, wie man es sich vorstellte. Ein ganz normales Labor. Mit Käse. Darin: eine junge Frau, Studentenalter, den blonden Schopf unter einem Haarnetz verknotet.
»Hallo, ich bin Adalbert Bietigheim, der neue Praktikant. Sie müssen Emanuelle sein.«
Die junge Frau drehte sich nicht einmal um. »Wie viel Käse hat Ihnen unser Verkaufsschlachtschiff aufgebrummt?«
»1150 Gramm.«
»Nur? Sie muss Sie echt ins Herz geschlossen haben. Mal sehen, ob Sie die erste Woche hier überstehen.«
»Wieso?«
»Dieser Tage ist Monsieur Vesnin schlecht gelaunt.« Sie blickte auf ihre Armbanduhr. »Ich glaube, es ist Zeit für meine Zigarettenpause. Rauchen Sie eine mit?«
Bietigheim bejahte diese Frage. Verbrüderung mit dem arbeitenden Volk!
Als sie draußen ihre Lungen teerten, ließ Emanuelle die Tür nicht aus den Augen. Sie wollte sicherstellen, dass die Luft rein war (bis auf den Zigarettenqualm).
»Hör zu, du scheinst ganz
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