Die letzte Reifung
eine Vollbremsung hin, obwohl auch das eigentlich nicht seine Art war. Die Reifen quietschten.
Bietigheim hatte den Bären erkannt. Es war Pit.
Schnell parkten sie am Straßenrand und stapften zu dem hünenhaften Taxifahrer hinüber, der geradezu liebevoll eine Kuh streichelte.
»Was haben Sie mit dem Rind vor? Wollen Sie etwa reinbeißen?«
»Noch nicht.« Pit lachte und wuschelte dem weißen Riesen über den Kopf. »Tolle Tiere sind das. Denen geht es hier richtig gut. Super Luft, sattes Gras, so was gibt's in Hamburg nicht.«
»Wo sind Sie die Nacht über gewesen?«, fragte Jan, der sich nicht näher an die Rinder herantraute.
»Stehe ich jetzt der spanischen Inquisition gegenüber? Darf man nicht einmal ein paar Stunden im Krankenhaus verbringen?«
Selbst das Rind schien erstaunt. Und lauschte im Folgenden bedächtig Pits Erzählung. Ihm hatte der Magen ausgepumpt werden müssen, wobei der Arzt nicht genau sagen konnte, was Pit Falsches gegessen hatte. Es schien ihn allerdings auch nicht sonderlich zu interessieren. Fasziniert war er dagegen von Pits Verdauungssystem, das seiner Meinung nach mit Teflon ausgekleidet sein musste, um diese Reizung so schnell wegstecken zu können. Pit erzählte dies voller Stolz und eigentlich mehr dem Rind als den beiden menschlichen Weidegängern.
»Und wo steht jetzt Ihr Taxi?«
»Noch vor dem Restaurant in Autun. Da lasse ich mich gleich von einem französischen Taxi hinkutschieren. Mal schauen, wie die Kollegen hier arbeiten. Oder möchte mich einer der Herren fahren?«
In diesem Moment hätten die beiden Bietigheims eine olympische Goldmedaille im Synchronkopfschütteln gewinnen können.
Auf dem Weg zurück zum Wagen nahm sich Bietigheim den alten Freund zur Seite, der den Kühen gerade einen Abschiedsgruß zurief: »Wir sehen uns – auf dem Teller!«
»Ich habe eine weitere Aufgabe für Sie«, begann der Professor. »Eine Spur in diesem Mordfall führt zu irgendwelchen Clochards, die die Madame wohl des Öfteren beherbergt hat. Sie müssen herausfinden, ob in den letzten Tagen einer bei ihr war. Mischen Sie sich unter dieses Volk, Sie verfügen da sicherlich über eine größere Affinität als ich.«
»Ich übersetze das mal in normales Deutsch: Ich soll zu den Pennern, weil ich da hinpasse?« Bietigheim antwortete nicht, sondern blickte auf den Boden. »Wenn Sie nicht der wären, der Sie sind, Professor, würde ich Ihnen jetzt einen satten Punch auf die Nase verpassen.«
»Aber ich bin der, der ich bin. Ganz gewiss sogar!«
»Das ist schade.«
»Ansichtssache.«
Pit legte seinen Arm um Bietigheim. »Man muss Sie einfach lieb haben.«
Das Fahrrad quietschte, als Professor Adalbert Bietigheim vor der Käserei von Monsieur Vesnin zum Stehen kam, die das vollkommene Gegenteil zu der von Madame Poincaré darstellte. Es fing schon damit an, dass dieses Gebäude neu war. Brandneu. Der Putz strahlte noch in … wie mochte man die Farbe nennen? Neonhimbeer? Und das davorstehende Plexiglasmodell eines Käses sah aus wie von einem anderen Stern – einem Stern mit sehr schlechtem Geschmack. Das Haus selbst schien aus mehreren Dreiecken zu bestehen, gebildet aus Fensterscheiben und Metallstreben, die bei einem Erdbeben planlos ineinandergestürzt waren.
Bietigheim streckte das Kreuz und atmete durch. Bis spät in die Nacht hatte er in der Fachliteratur geschmökert, sich alles angelesen, was zu den Käsen der Region, ihrer Historie, ihrer Herstellungsweise, ihrem korrekten Verzehr geschrieben stand. Nichts würde ihn mehr überraschen können. Frohen Mutes missachtete er das Hunde-verboten-Schild, weshalb eine weiß bekittelte Dame umgehend auf ihn zugestürmt kam:
»Ihr Hund muss draußen bleiben.«
»Das ist nicht mein Hund.«
»Sie halten ihn doch an der Leine. Es ist auch völlig egal, wem er gehört. Er darf hier nicht rein!«
»Er gehört sich selbst. Und er möchte hinein. Er mag nämlich Käse.«
»Ist aber nicht gut für Hunde. Wir haben einen Hundeparkplatz, wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Der Hundeparkplatz war nichts weiter als ein Stock, an dem man die Leine befestigen konnte. Ein darauf angebrachtes Metallschild zeigte einen brav sitzenden Dalmatiner mit heraushängender Zunge und strahlenden Augen. Immerhin brachte die Kitteldame Benno von Saber einen Wassernapf. Kostenloser Service des Hauses. Der Foxterrier wusste es zu danken, indem er vor ihren Augen auf den Parkplatz pinkelte. Er war und blieb ein kleiner Revoluzzer.
»Ich möchte bitte
Weitere Kostenlose Bücher