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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Königreich Burgund erst recht!«
    Der Professor blickte noch lange in den Rückspiegel, um auszuschließen, dass ihnen jemand folgte.
    »Ich wollte es in der Fromagerie nicht sagen, aber niemand ist so vergesslich, einen Kunden im Keller einzuschließen. Etwas hat Monsieur Picard aus dem Konzept gebracht, und zwar völlig. Ich habe lange darüber nachgedacht, bin unser Gespräch mehrmals Wort für Wort im Kopf durchgegangen. Der entscheidende Moment war, als ich erzählte, dass es kein normaler Todesfall war, sondern Mord. Da flackerte Angst in seinen Augen auf.«
    »Du meinst, weil er selbst der Täter …?«
    »Nein.«
    »Dann bleibt ja nur, dass er Angst hat, das nächste …«
    »Das meine ich. Jawohl.«
    »Das sollten wir der Polizei sagen!«
    »Dank des Bürgermeisters von Epoigey ermittelt sie noch nicht wegen Mordes. Deshalb müssen wir nun schnell neue Erkenntnisse gewinnen, denn wenn der Mörder tatsächlich nochmals zuschlagen sollte, können nur wir ihm zuvorkommen.«
    Jan seufzte. »Adalbert, machen wir uns doch nichts vor. Wer sind wir schon?«
    »Wir sind Bietigheims!«, antwortete der Professor und begann zu singen, wie es schon seine Vorfahren taten. Die Bietigheims waren trotz ihrer genetischen Ausfälle – zum Beispiel Tante Marthe aus Uelster – stolz auf ihr Geschlecht. Und sie hatten ein Lied, das ein jeder von ihnen nur mit Tränen in den Augen hervorbrachte: »Der Bietigheim-Husar«. Jans Herz pochte laut, als er mit einstimmte, er konnte einfach nicht anders. Adalbert intonierte gerade die vierte Strophe, seine liebste, denn es ging um Kulinarik.
    Im letzten Dorf da kehrt ich ein
    Und trank dort den Tokayerwein
    Tokayer aus Magyar
    Tokayer aus Magyar
    Tokayer du bist mild und gut
    Du bist das reinste Türkenblut
    Für'n Bietigheim-Husar
    Für'n Bietigheim-Husar
    Sie blickten sich kurz in die Augen, die nun aufloderten, denn es folgte der Refrain!
    Dunja Dunja Dunja Tisa
    Bas maderem trem kordijar
    Te-de-rei, te-de-ra, te-de-rei, te-de-ra
    Als Bietigheim-Husar!
    Sie hatten keine Ahnung, was der Refrain bedeutete, doch es klang richtig schmissig.
    Benno hielt es nicht mehr aus und streckte den Kopf aus dem fahrenden Auto. Seine empfindlichen Ohren hatten das Gejaule viel zu oft ertragen müssen. Die Zunge flatterte ihm aus dem Mund wie eine nasse Flagge.
    Mit einem Lachen beendete das Bietigheim-Duo die Familienhymne. Sie fuhren eine ganze Weile, bis der Professor wieder den Mund aufmachte.
    »Und Pit ist ebenfalls nicht zur Nacht zurückgekehrt?« Er zog sich am rechten Ohrläppchen, wie immer, wenn ihn etwas irritierte. »Ist dein Kühlschrank vielleicht leer?«
    Jan schüttelte den Kopf. »Bier ist zumindest genug da.«
    »Wer weiß schon, was in seinem Kopf vorgeht? Ich nicht. Und ich will es auch gar nicht wissen. Darüber nachzudenken verrenkt einem nur das Hirn.«
    »Und was willst du jetzt tun?«
    »Wegen Pit? Warten. Wegen des Mordes? Der Spur des Affineurs können wir kaum folgen, wobei ich dich bitten möchte, einen Zeitungsartikel über sein Verschwinden zu schreiben und die Ohren in der Redaktion offenzuhalten. Der Spur des Geldes dagegen kann gefolgt werden!«
    »Und wohin führt sie?«
    »Einerseits zu den Erben – andererseits zu Madame Poincarés ärgstem Konkurrenten Monsieur Vesnin.«
    »Du glaubst doch nicht ernsthaft, der redet mit dir über den Mord?«
    Bietigheim spürte den fragenden Blick wie einen lästigen Käfer auf der Haut. »Mit dem einzigen Professor für Kulinaristik in Deutschland? Vermutlich nicht. Aber mit seinem überaus fleißigen Praktikanten wird er sicherlich so einiges besprechen. Vor allem, da dieser ebenso begabt wie hochintelligent ist.«
    Jan tat erstaunt. »Doch nicht etwa so wie du?«
    »Du hast es erfasst!«
    Sie waren schon nahe Meursault, als Benno plötzlich aufbellte. Doch auf dem Feld, das an ihnen vorbeirauschte, waren nur ein paar prächtige weiße Charolais-Rinder zu sehen. Breit und kraftvoll, wunderbares Fleisch mit wenig Fett. Einige blickten gelangweilt in die Gegend, doch die meisten hatten die Köpfe zum Grasen gesenkt. Bis zu anderthalb Kilo legten sie pro Tag an Gewicht zu – da konnte selbst Pit nicht mithalten.
    Der Professor schaute sich die Rindviecher genauer an.
    Komisch.
    Irgendwas stand dort bei ihnen auf der Weide.
    Etwas Großes, Schwarzes. Ein Bär?
    Er legte gerade seine Pranke auf eine stattliche Kuh.
    Um Gottes willen!
    »Bremsen!«, schrie Bietigheim. Obwohl Schreien sonst gar nicht seine Art war.
    Jan legte

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