Die letzte Reifung
nett zu sein. Deshalb ein gut gemeinter Rat: Hau lieber ab, solange du noch kannst. Der Käsegott grollt nämlich fürchterlich.«
»Wieso? Was stimmt nicht im Himmel?«
»Wir hatten ein bakterielles Problem. Es hat ihn den Käse einer ganzen Woche gekostet. So was schlägt voll ins Kontor. Das darf nicht passieren.«
»Es sieht ehrlich gesagt nicht aus, als würde ihm ein bisschen Verdienstausfall was ausmachen.«
Sie stieß lange ihren Rauch aus. »Sieht so aus, stimmt. Der erfolgreiche, millionenschwere Großunternehmer.«
»Ist das etwa nicht so?«
»Wer bin ich? Seine Pressesprecherin? Und wieso hast du plötzlich so ein Funkeln in den Augen?«
»Man will halt genau wissen, für wen man arbeitet. Also: Hat er Geldprobleme oder nicht?«
»Er hat viel Geld in die neue Käserei hier gesteckt, es gibt auch einen Relaunch des Logos. Ein PR-Büro aus Paris steckt dahinter. Die Investitionen müssen alle erst mal wieder reinkommen. Aber wie ich ihn einschätze, baut er dann eine riesige Käsefabrik und verschuldet sich noch mehr.«
In diesem Moment sah der Professor Monsieur Vesnin. Er stand in der Tür.
Wie lang mochte er schon gelauscht haben?
»Wie schön, dass Sie sich schon bekannt gemacht haben. Ein gutes kollegiales Verhältnis unter meinen Angestellten ist mir sehr wichtig. Wir arbeiten hier mit flachen Hierarchien. Sehen Sie, Adalbert, ich habe mir etwas ganz Besonderes für Ihren ersten Tag überlegt. Sie sollen gleich zu Beginn die wichtigste Arbeit eines Käsers kennenlernen.«
»Ach, das ist ja ganz wunderbar!«
»Nicht wahr?«
»Was ist es denn? Käselaibe wenden? Das Lab hinzufügen? Die Käseharfe schwingen?«
»Nein.« Jetzt lächelte der Käser wieder. »Das Labor putzen.«
Es war gar nicht so einfach, auf dem Land einen Clochard zu finden. Die meisten lebten in Städten, denn dort blieben sie weitestgehend unbehelligt. Außerdem gehörten sie vor allem in diesen zur Folklore. Auf dem Land wurden sie schnell zu Maskottchen – oder zum Amüsement der Jugend. Doch wie Pit bereits herausgefunden hatte, zogen immer mal wieder welche durch das Burgund, brauchten Unterschlupf, ein Dach über dem Kopf, eine heiße Suppe. Und wenn ein Clochard das fand, hatte er es mit der Weiterreise plötzlich nicht mehr ganz so eilig.
Genau so einen musste Pit finden.
Er parkte sein Taxi am Ortseingang von Epoigey und ging zu Fuß weiter. Denn je langsamer man sich bewegte, desto mehr nahm man wahr. Er hatte oft genug in Hamburger Innenstadtstaus gestanden, um das zu begreifen. Wie viele wunderbare Imbissbuden waren ihm erst im dichten Verkehr ins Auge gefallen!
Schon nach wenigen Schritten war klar, dass er in diesem pittoresken Dörfchen auffiel wie eine Sushi-Rolle im Schnitzelpalast. Schwarze Rocker von der Größe einer Litfaßsäule verirrten sich wohl selten ins Burgund. Er bemerkte die sich verräterisch bewegenden Gardinen und die plötzlich in Schlössern gedrehten Schlüssel. Die Straße vor ihm war menschenleer, und er kam sich vor wie in einem Italo-Western kurz vor high noon.
Was ihm sehr gefiel.
Als er auf dem Dorfplatz ankam, glich dieser einem Ameisenhaufen. Ein unwahrscheinliches Gewusel begleitete den Aufbau einer großen Bühne in Käseform, von Ständen und Theken, Bänken und Tischen. Doch alles schien in geordneten Bahnen zu verlaufen – jede zweibeinige Ameise wusste, was sie zu tun hatte. Ein Banner, das gerade von zwei zeternden Männern aufgehängt wurde, verriet, dass hier morgen das Käsefest stattfinden würde.
Kein Platz für einen Clochard, die störten nur bei solchen Zurschaustellungen lokaler Glorie.
Pit machte sich deshalb auf die Suche nach Brückenunterführungen, Gullydeckeln mit Pappkartons, regensicheren Bänken und unverschlossenen Weinbergshäuschen. Doch nirgendwo fand er den Unterschlupf eines Clochards, ja, nicht einmal Spuren eines solchen. Es schien, als hätte nie einer in Epoigey auch nur eine Nacht verbracht.
Doch es gab noch andere Zeichen.
Und Pit kannte sie.
Dafür musste er jedoch näher an die Häuser heran, die Türrahmen in Augenschein nehmen, manchmal auch die Briefkästen.
Jetzt wogten die Gardinen regelrecht.
Pit suchte nach Zinken, wie die Markierungen der Clochards genannt wurden. Damit teilten sie einander mit, was bei Bettelei an der jeweiligen Tür zu erwarten war. Es gab Zeichen für bissige Hunde, für Häuser, bei denen es lohnte, sich fromm zu stellen, oder für Türen, an denen Betteln verboten war. Pit kannte jedes davon.
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