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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Kühe sahen sehr glücklich und zufrieden aus.
    Ihre Augen waren geradezu glasig, die Mäuler standen offen. Sie gaben keinen Laut von sich – und lächelten fast. Sie machten sich nicht einmal die Mühe, lästige Fliegen mit dem Schwanz zu verscheuchen.
    Ihr Käser war nirgends zu sehen.
    Bietigheim lief zurück in die Käserei. Nirgendwo ein Monsieur Vesnin. Der Professor rief nach ihm. Keine Antwort.
    Dann rannte er hinaus zum exklusiven Stall der Lieblingsherde, vor dem die Tiere so unnormal lethargisch herumstanden. Bietigheim spurtete atemlos zwischen ihnen hindurch und fand seinen Arbeitgeber auf dem Boden des Stalls.
    Monsieur Vesnin lag auf dem Rücken, doch sein Gesicht war nicht zu erkennen. Denn der ganze Kopf war mit einer roten Paraffinhülle bedeckt. Vor dem Versand wurden die Käselaiber in dieses Wachs getaucht, weil es luftundurchlässig war und den Reifeprozess beendete.
    Auch der Reifeprozess von Monsieur Vesnin war nun beendet.
    Der ab dem Hals Konservierte war tot.

KAPITEL 5
Nachts sind alle Käse grau
    »Und dann?« Jan rückte seinen Stuhl nach vorn. Sie saßen zusammen im Garten, den er seine grüne Insel nannte, der jedoch eher einem schulterhoch eingemauerten Unkrautversuchsfeld ähnelte. Obwohl die Grünfläche nicht mehr als zwanzig Quadratmeter maß, hatte Benno von Saber es geschafft, spurlos darin zu verschwinden.
    »Dann«, fuhr Bietigheim fort, »bekam ich es mit der Angst zu tun. Denn das Paraffin war noch warm. Der Täter – oder die Täterin – konnte also immer noch da sein. Vielleicht genau hinter mir, bereit, mich ebenfalls zu paraffinieren.«
    »Schönes Wort«, grunzte Pit, der in der rissigen Hängematte lag wie eine Kegelrobbe. »Manchen Fahrgast in meinem Taxi würde ich auch gern paraffinieren.«
    »Weiter«, drängte Jan.
    »Ich griff mir als Bewaffnung den Melkschemel und drehte mich blitzschnell um. Und da, genau hinter mir, stand …« Bietigheim riss die Augen auf.
    »Jetzt mach es doch nicht so spannend!«
    »… mit irrem Blick …«, der Professor kicherte, » … eine Kuh !«
    Jan zündete sich nervös eine Zigarette an. »Erzähl schon weiter, der Mörder war also nicht mehr da.«
    »Zumindest habe ich ihn nicht gesehen«, antwortete der Professor. »Wenn ich Pech habe, er allerdings mich. Und vielleicht befürchtet er, dass ich ihn erkannt habe. Dann könnte mich bald Ungemach erwarten.«
    »In Form des Todes«, sagte Pit trocken.
    »Das subsummiere ich unter Ungemach. Könnte ich wohl noch etwas Kaffee bekommen?«
    Jan stand missmutig auf und kehrte mit der ganzen Kaffeemaschine zurück, die er in die Außensteckdose stöpselte. Eigentlich war die für einen Rasenmäher gedacht. Doch er besaß ohnehin keinen.
    »Jetzt aber weiter!«
    »Ich habe mich noch ein wenig umgesehen, vorsichtig, nach Hinweisen auf dem Boden, aber nichts gefunden. Danach habe ich die Kühe untersucht, um herauszufinden, woher ihr augenscheinlicher Glückszustand kommt, ob ihnen vielleicht eine Droge injiziert wurde. Doch ich konnte keine Einstichlöcher finden. Allerdings bin ich kein Arzt, und selbst wenn ich einer wäre, hätte ich aufgrund des dichten Fells wohl lange suchen können. Natürlich habe ich danach die Polizei gerufen, jedoch die in Dijon, damit diesmal nichts vertuscht wird. Und ich habe den Polizisten auch gleich alles berichtet, was ich von dem ersten Mord weiß. Es ist mir mittlerweile nämlich egal, was Epoigeys Bürgermeister mir angedroht hat. Da läuft ein irrer Killer frei herum, der dringend gestoppt werden muss, denn sonst lebt bald kein Käsemacher im Burgund mehr.«
    »Bist du wahnsinnig?« Jan hätte sich beinahe an seiner brennenden Zigarette verschluckt. »Jetzt wissen sie, dass du zwei Leichen gefunden hast!«
    »Langsam bekomme ich Übung darin.«
    »Das macht Sie sehr verdächtig«, brummte Pit, die Augen noch geschlossen. »Dazu kommt, dass Sie verschroben sind und ein Fremder aus Deutschland. So einem traut man alles zu. Selbst raffiniertes Paraffinieren.«
    »Ach, Unsinn«, tat Bietigheim den Einwand ab. »Ich bin international hoch respektiert, mein Ruf ist makellos. Ich habe nichts zu befürchten. Soll ich nun weiterberichten, oder kommt noch ein unsinniger Einwand?«
    Pit wandte ihm den Rücken zu und fiel dabei fast aus der Hängematte. »Erst mal nicht.«
    »Gut so. Nun, ich bin dann noch so lange geblieben, bis die Spurensicherung das Paraffin abgenommen hat. Anscheinend ist Monsieur Vesnin bewusstlos geschlagen worden, bevor er seine …

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