Die letzte Reifung
Winzerin.
Leider überhörte Mademoiselle Leroy das.
»Wer wollen Sie diesmal sein? Der Präsident? Wollen Sie mir den Orden der Ehrenlegion verleihen? Nur her damit!«
Jetzt stand sie ganz nah und Jan konnte den Duft ihrer Haare riechen. Apfelshampoo. Vermutlich Boskoop.
»Ich bin wirklich Journalist.« Er zeigte ihr seinen Presseausweis. »Und ich hätte tatsächlich einen Artikel über Sie geschrieben, das war nicht gelogen.«
»Aber es …«
»Ja, es war trotzdem nur vorgeschoben. Mein Begleiter hat – aus Versehen! – gehört, was Sie zum Dorfpfarrer bei der Beichte sagten, zumindest einige wenige Sätze. Dass Sie Schuld auf sich geladen haben, was Madame Poincaré betrifft.«
Béatrice Leroys Blut schien im Bruchteil einer Sekunde in den Weinberg geflossen zu sein, so blass war sie plötzlich. Zusätzlich stand ihr Mund offen. Ihr schöner Mund, wie Jan bemerkte, mit unglaublich blassrosa Lippen. Sie sah nun aus, als müsste sie unbedingt in den Arm genommen werden – doch vermutlich würde sie ihm bei dem Versuch die Rebschere ins Herz stechen und mehrfach umdrehen.
»Mein Begleiter hat sich Sorgen gemacht«, bemühte Jan sich zu erklären. »Er ist so jemand.« Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, ich erzähle Ihnen jetzt die ganze Wahrheit, keine Lügen mehr: Er dachte, Sie hätten etwas mit dem Mord an Madame Poincaré zu tun.«
»Dem Mord? Was für einem Mord? Ihr Herz hat doch einfach aufgehört zu schlagen! Was reden Sie denn da?«
»Ihr Herz hat aufgehört zu schlagen, weil ein Käsemesser darin steckte.«
Wenn sie bluffte, tat sie es überzeugend. Jan musste ihr wohl alles von Anfang an erzählen. Immerhin hatte er nun ihre volle Aufmerksamkeit. »Setzen wir uns in meinen Wagen, ja?«
Wie in Trance sank Béatrice Leroy auf den Beifahrersitz und ließ sich von Jan alles erzählen, über die Morde, die Vertuschungsaktion des Bürgermeisters und die Initiative Adalbert Bietigheims. Währenddessen heizten die steil einfallenden Sonnenstrahlen Jans schwarz lackierten Wagen bis zum Siedepunkt auf.
»Ich verstehe nicht, wie jemand Madeleine ermorden konnte.«
Jan fuhr mit den Fingerspitzen nervös über das Lederlenkrad. »Aber sie war doch kein einfacher Mensch, Sie hatten doch auch Streit mit ihr. Ist es okay, wenn ich frage, worum es ging? Nicht für die Zeitung …«
»… sondern nur, weil Ihr Begleiter so neugierig ist.«
Sie blickte hinaus auf die Straße.
»Ja … und nein. Ich würde es selber gerne wissen. Denn ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Sie etwas mit einem oder jetzt sogar zwei Morden zu tun haben könnten.«
Nun blickte Béatrice Leroy ihn an, zum ersten Mal, seit sie im Wagen saßen, und eigentlich war es das erste Mal überhaupt, dass sie ihn wirklich ansah, offen dafür, was sie sah. Ihr Blick tanzte umher, schien jeden Winkel seines Gesichts zu untersuchen.
Dann schluckte sie kurz. »Okay, aber danach reden wir nie wieder darüber: Ich habe nichts, aber auch gar nichts mit dem Mord an Madeleine zu tun. Ebenso wenig wie mit dem an Monsieur Vesnin, den ich nur flüchtig kannte. Glauben Sie mir?«
Bevor Jans Kopf nachdenken konnte, antwortete sein Mund bereits. »Ja.«
»Worüber ich mit Madeleine gestritten habe, ist meine Privatsache und geht niemanden etwas an. Vor allem niemanden von der Presse.«
»Verstehe ich völlig. Aber …« Jan traute sich kaum zu fragen, doch es musste sein. »Warum haben Sie mich bei unserem ersten Treffen angelogen und behauptet, Sie wären mit der Toten verwandt, sie wäre Ihre Tante?«
»Weil es sich so angefühlt hat. Sie war wie eine Tante für mich. Von klein auf.«
Die nächste Frage schien Jan sogar noch schwerer über die Lippen zu gehen. »Was ist, wenn Sie die Nächste auf der Liste des Mörders sind?«
»Ich? Wieso denn ich?«
»Waren Sie am Tag von Madame Poincarés Tod vielleicht bei ihr, haben Sie den Mörder dort unter Umständen gesehen? Oder könnte der Mörder vielleicht denken, Sie hätten ihn gesehen?«
Wieder dieser Blick von ihr, als gelte es, hinter seine Maske zu blicken.
»Nein, wir hatten uns am Abend zuvor gestritten. Da war sie noch sehr … lebendig.«
»Sie wollten "streitsüchtig" sagen.«
Sie spitzte die Lippen. »Habe ich aber nicht.«
Jan reichte ihr seine Visitenkarte. »Rufen Sie mich an, wenn Sie Hilfe brauchen. Ich komme. Egal, wann.«
»Warum? Weil eine gute Story für Sie herausspringt?«
»Jetzt hören Sie doch auf damit. So einer bin ich nicht.«
Béatrice Leroy
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