Die letzte Reifung
öffnete die Beifahrertür. »Ich muss wieder in den Weinberg.«
Sacht legte Jan seine Hand auf ihre Schulter. »Ich hätte noch zwei Fragen. Bitte. Die erste lautet: Wer könnte Madame Poincaré und Monsieur Vesnin umgebracht haben?«
»Und die zweite?«
»Würden Sie bei Gelegenheit mal mit mir essen gehen?«
Béatrice Leroy stieg aus und beugte sich zurück ins Wageninnere. »Zu Ihrer ersten Frage: Reden Sie mit dem Bürgermeister. Aber achten Sie darauf, dass er genug getrunken hat.«
»Und zur zweiten Frage?«
»Nein.«
Béatrice Leroy schlug die Wagentür zu.
Die Sonne war schon ein beachtliches Stück weitergezogen, als Jan den Wagen wieder anließ.
Professor Adalbert Bietigheim kannte seine Stärken.
Mit dem Bürgermeister von Epoigey einen trinken zu gehen gehörte nicht dazu.
Das konnten andere besser, allen voran Pit, der mit Leichtigkeit einen Schwarzmeer-Kosakenchor unter den Tisch und wieder hoch soff. Deshalb war dieser auch mehr als erfreut, solch eine Aufgabe zu übernehmen. Vor allem, weil der Professor ihm das Geld für die Unternehmung zur Verfügung stellte.
Bietigheim selbst verbrachte die Zeit damit, sämtliche Literatur zum Thema »Glückliche Kühe« zu studieren, immer wieder bei Affineur Hervé Picard anzurufen, nur um von unterschiedlichen Mitarbeitern zu hören, dass dieser auf unbestimmte Zeit verreist sei, sowie einen Vortrag vorzubereiten. Die »Hanseatische Gesellschaft zur Förderung der internationalen Käsekultur sowie verwandter Milchprodukte insbesondere Magerquark, Molke und Joghurt« würde nämlich am nächsten Tag im Rahmen ihrer Burgund-Rundreise in Beaune eintreffen – und hatte sich Erhellendes von ihm über die Käse der Region gewünscht.
Er genoss es, zur Abwechslung wieder von Büchern statt Leichen umgeben zu sein.
Dies war seine Welt. Es war wie ein Heimspiel beim Fußball.
Leider klingelte spät am Abend das Telefon und riss ihn aus seinen Studien. Natürlich war es Pit. Es hatte sonst niemand ein derartiges Talent, ihn in den unpassendsten Momenten zu stören.
»Hallo, Professore.«
Bietigheim verzog das Gesicht, diesen Spitznamen schätzte er nicht sonderlich. »Machen Sie es bitte kurz. Hatten Sie Erfolg?«
»Also die Sache verhält sich so. Der Bürgermeister ist leider nicht im Dorfgasthof L'Auberge du Vigneron aufgetaucht. Mir wurde gesagt, dass er auf dem Käsefest zu tun hat. Also bin ich da hin. Und meine Güte, war das ein Ding! Alles da, was man sich von so einem Fest erhoffen kann: ein Apéritif concert , ein Spielmannszug, Käse- und Wein-Verkostungen, Stände mit Gegrilltem, ein Rummelplatz und es wurden sogar vierzig amouillantes versteigert – das sind trächtige Kühe. Ein Käsewettessen gab es natürlich auch. Der Sieger darf sich jetzt mit dem Titel 'Plus Gros Mangeur' schmücken, der größte Esser. Überall auf den Straßen roch es nach Grillfleisch, zerlaufendem Käse und Crêpes, die sich wie hauchdünne goldgelbe Spinnweben auf den flachen Eisen ausbreiteten.«
»Sie werden ja richtig poetisch.«
»Es geht ja auch um Essen! Das Tollste war aber das Repas campagnard , ein riesiges rustikales Büffet. Unter einer Markise hatten sie lange Tische aufgestellt, von oben mit einer Kette aus nackten Vierzig-Watt-Birnen beleuchtet. Da konnte man nach Lust und Laune schlemmen.«
»Und dort haben Sie den Bürgermeister angetroffen?«
»Nein, der war schon weg. Ich habe mich aber, um die Zeit zu nutzen, mit ein paar anderen Dorfbewohnern angefreundet. Ging ganz leicht, nachdem ich ihnen ein paar Runden spendiert habe.« Im Hintergrund war mehrstimmiger Gesang zu hören.
»Mit meinem sauer verdienten Geld! Haben Sie denn wenigstens etwas Sinnvolles in Erfahrung gebracht?«
»Jau! Welchen Wein man hier besser nicht saufen sollte.«
»Das ist alles?«
»Kommen Sie her.«
»Ich habe kein Interesse, mit Ihnen zu trinken. Zwei Bücher warten noch darauf, von mir auf relevante Artikel hin durchgearbeitet zu werden, und dann geht es ins Bett.«
»Wir sollten die Nacht zusammen verbringen.«
»Wie bitte?«
Pit lachte grunzend. »Vor Madame Poincarés Haus. Wir legen uns auf die Lauer und schauen, was passiert.«
»Verschonen Sie mich mit Ihren Kindergartenspielchen.«
»Einer von meinen neuen Saufkumpanen hat mir erzählt, dass der Käsedieb bei Madame Poincaré von der Nachbarin überrascht wurde und Hals über Kopf fliehen musste. Er konnte vermutlich nicht alles mitnehmen, was er klauen wollte. Wenn er auch nur ein kleines
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