Die letzte Reifung
Gespött der Lokalpresse. Die Einführung des Käsefests in Epoigey gilt als seine einzige politische Leistung. Aber würde so jemand die einzige Käserin vor Ort ermorden?« Der Käse sagte nichts. Er überlegte wohl noch. Der Professor beschloss, dem kleinen Kerl die restlichen Verdächtigen vorzustellen, damit er zu einem abschließenden Urteil gelangen konnte.
»Vergessen wir nicht unseren Maître fromager affineur Hervé Picard aus Dijon. Aus Versehen hat der mich sicher nicht in den Keller gesperrt, und aus Versehen ist er sicher auch nicht spurlos verschwunden. Aber welchen Grund sollte er für den Mord haben? Er hat mit Madame Poincarés Käse Geld verdient, vielleicht unregelmäßig, weil sie mal so, mal so lieferte, aber immerhin. Ein Mord aus Liebe kommt bei dem Altersunterschied wohl eher nicht in Frage, und für Rache haben wir kein Indiz.«
Der Professor kam mit dem Mund ein Stück näher an den kleinen, schnuckeligen Käse. »Mal unter uns und ganz ehrlich, wäre dein Käser zu einem Mord fähig? Er hat das stärkste Motiv. Jetzt ist er endlich die Nummer eins in der Region. Und finanziell schien bisher nicht alles so rosig zu sein, wie es von außen aussieht, nicht wahr? Du brauchst nichts sagen, das weiß ich sowieso schon.«
So ein Gespräch mit einem Käse war wirklich eine erfreuliche Sache. Das sollte er viel häufiger tun, ein Käse widersprach auch deutlich seltener als ein Student.
Der Professor blickte sich um. Monsieur Vesnin war nicht mehr zu sehen, vermutlich weilte er immer noch irgendwo bei seiner geliebten Herde.
Also war die Luft rein!
Nur einen kleinen Blick ins Büro wollte er werfen, das der Käser stets unverschlossen ließ. Warum auch nicht? Normalerweise traute sich ohnehin keiner hinein.
Wie sich herausstellte, war der Sonnengott des Käses in Bürodingen ein totaler Chaot, was man allerdings erst auf den zweiten Blick sah. Auf den ersten sah man einen leeren Acrylschreibtisch mit mattem Aluminiumgestänge, einen weißen Computer rechts auf der Ecke sowie glänzende Mahagonischränke.
Doch zog man die Schubladen auf, kam einem ein Wust an Papieren entgegen. Eine Schublade, das fand Bietigheim schnell heraus, war der Posteingang, eine andere der Ausgang. Und in allen weiteren wartete unerledigter Kram. Simplify your Ablagesystem.
Der Professor wusste zwar nicht, was genau er suchte, aber nach kurzer Zeit hatte er es gefunden: ein Schreiben des Käsegiganten Frombel, der Umschlag stark zerknittert, so als hätte Vesnin ihn oft durch die Finger gleiten lassen. Bietigheim lugte aus der Bürotür.
Noch immer kein Käser im Anmarsch.
Die Lasche des Umschlags löste sich wie von selbst. Es war ein Angebot für die Käserei, und es war enorm hoch dotiert. Monsieur Vesnin sollte den Betrieb nach der Übernahme sogar weiterleiten. In dem Schreiben war ein Termin genannt, an dem Claude Bourcin, der Geschäftsführer von Frombel Europe, höchstpersönlich die Käserei besuchen würde.
Der Termin war in exakt vier Stunden.
Also streckte Frombel nicht nur die Fühler nach Madeleine Poincarés Bauernhof aus, wie Jan ihm erzählt hatte. Der Appetit des Käsegiganten auf kleine Produzenten war noch größer.
Die große Uhr der Käserei klingelte.
Zeit fürs Melken.
Der große Kuhstall lag gleich neben der Käserei. Das war insofern ungewöhnlich, als die meisten Betriebe ihre Milch von dort geliefert bekamen, wo das Land günstig und die Weiden groß waren. Monsieur Vesnin sah es jedoch als Teil der verkaufsfördernden Folklore an, die Kühe bei sich zu halten. Zudem liebte er – obwohl er dies niemals zugeben würde – seine Tiere. Nie wurde er in ihrer Gegenwart laut, selbst dann nicht, wenn ihn einer seiner Mitarbeiter beim Melken störte. Sogar alte Kühe, die nur noch wenig Milch gaben, behielt er und kümmerte sich um sie.
Der Professor melkte mit der Hand aus jeder Zitze ein wenig Milch, um zu prüfen, ob Blut darin war, was auf eine Entzündung gedeutet hätte. Dann legte er vorsichtig die Melkwerkzeuge an. Das Vakuum begann die Milch aus den Zitzen zu saugen. Jetzt musste er nur noch ab und an am prallen Euter rütteln, wie ein ungeduldiges Kalb, das mit Kopfstößen die letzten Tropfen Milch herausholen will. Im Anschluss ans Melken wurden Monsieur Vesnins Kühen die Zitzen mit pflegender Salbe eingerieben, auch das ein außergewöhnlicher Service.
Nach getaner Arbeit blickte der Professor auf die Weide, wo Monsieur Vesnins Lieblingsherde immer noch stand.
Die
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