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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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zwischen die Zähne zu bekommen. Schon nach kurzer Zeit knabberte er auf etwas Grünem, das mit einem Bein noch aus seinem Fang hing. Der Professor ging jedoch fort von den reichen Jagdgründen und hinüber zum Dorfgasthof, der L'Auberge du Vigneron .
    Dort saß der Bürgermeister wie jeden Abend, am besten Tisch, die altrosa Hemdärmel hochgekrempelt, sodass seine Orang-Utan-Arme zu sehen waren. Er hielt offensichtlich Hof. Doch zurzeit saß niemand sonst am Tisch des Königs.
    Das war Bietigheims Chance.
    Er würde nicht fragen, ob er sich zu ihm setzen durfte. Dieses »Nein« konnte er sich sparen. Stattdessen würde er eine List anwenden.
    »Darf ich Sie zu einem guten Glas einladen? Als Entschuldigung für die Zeitungssache? Sie wählen aus.«
    Jules Bigot blickte auf und kreuzte seine haarigen Arme über der Brust. Dann blickte er auf den leeren Stuhl vor sich.
    »Einen Epoigey, Grand Cru, euren teuren«, rief er der Bedienung zu. »Und ich meine euren richtig teuren.« Erst jetzt wandte er sich an Bietigheim. »Sie wollen sich also entschuldigen? Ich halte Sie nicht auf.«
    Der Professor hatte überhaupt kein Interesse daran, sich zu entschuldigen, noch nicht einmal zur Schau. Er hatte schließlich Prinzipien. Aber selbst mit Prinzipien gab es einen Weg aus dieser Zwickmühle.
    »Bei einem Glas Wein geht das besser.«
    »Ein wahres Wort.«
    Er nahm Platz, während Benno von Saber sich unter dem Tisch postierte. Genau in der Mitte. Von da aus hatte er den kürzesten Weg zu eventuell herabfallenden Speiseresten – egal, von wo sie kamen.
    Jules Bigot erinnerte Bietigheim ein wenig an den Kanzler der Universität Hamburg. Äußerst gesellig, doch wehe, jemand bedrohte sein Lebenswerk oder machte es auch nur schlecht. Dann verwandelte er sich in einen Säbelzahntiger.
    Jules Bigots Lebenswerk war Epoigey und dessen guter Ruf für Käse und Wein.
    Fein.
    Die Flasche wurde entkorkt, Wein floss in Gläser, dann in Münder.
    »Das ist der beste Wein aus Epoigey?«, fragte Bietigheim. »Der gaumt doch nach.«
    »Der … was ?«
    »Er gaumt nach. Ganz hinten im Rachen. Sehr unangenehm.«
    »Der gaumt doch nicht nach.« Der Bürgermeister nippte am Glas. »Überhaupt nicht.«
    »Wenn man einen großen Schluck nimmt«, erläuterte Bietigheim. »Dann gaumt er sehr.«
    Der Bürgermeister nahm einen Schluck. »Blödsinn!«
    Bietigheim zog eine Weinflasche aus seinem Rucksack. Es war ein ganz besonderer Tropfen: Bietigheimer Wurmberg. Trollinger. Ein grauenvoller Tropfen, aber jeder aus der Bietigheim-Sippe besaß ein paar Flaschen davon, denn einer der ihren kelterte den Wein. Der Professor hatte sich einfach in Jans Keller bedient.
    »Verkosten Sie den mal, aus der Heimat meiner Urgroßeltern. Ein deutscher Rotwein. Da gaumt nichts.«
    Der Bürgermeister ließ die Bedienung zwei weitere Gläser bringen.
    »Deutsche und Rotwein? So nah am Nordpol wächst doch kein ordentlicher Rotwein!«
    »Ist ja auch Trollinger. Das ist etwas ganz Eigenes.«
    Mit kritischem Blick trank der Bürgermeister davon. »Bah!«
    »Man muss zwei Schlucke trinken, besser drei. Das ist das Geheimnis des Trollingers. Man muss viel davon trinken. Erst dann schmeckt er.«
    In Wirklichkeit konnte man so viel davon trinken, wie man wollte, er schmeckte immer noch wie Spülwasser mit Kirschlolly.
    Das merkte auch Jules Bigot. »Und das nennt ihr Rotwein?« Er schüttete den Trollinger aus und pfiff die Kellnerin nochmals herbei, um eine weitere Flasche zu ordern. Sie kam aus Vosne-Romanée. » Das ist Rotwein.«
    Bieitigheim fuhr es eiskalt über den Rücken, als dieser Tropfen seinen Gaumen benetzte. Traumhaft.
    »Ich weiß nicht«, sagte er jedoch. »Etwas gerbsig.«
    »Sie haben ja keine Ahnung!«
    »Unter der Zunge ist er gerbsig. Aber ich probiere gerne noch einmal, wenn Sie sagen, dass dem nicht so ist.«
    Der Bürgermeister grunzte zufrieden und nahm ebenfalls einen weiteren Schluck. Der Professor dagegen tat nur so. Er nahm den Wein in den Mund, natürlich, doch immer, wenn er sich tief hinunter zu Benno von Saber beugte, um diesen zu streicheln, spuckte er den Wein wieder aus.
    »Fein ist er nicht«, sagte der Professor, nachdem er wieder aufgetaucht war. »Kraftvoll, ja. Aber an Eleganz mangelt es ihm.«
    Der nächste scharfe Pfiff. Der nächste teure Wein. Die nächsten Kritikpunkte von Bietigheim, der darauf bestand, die Weine gegeneinander zu probieren. Von Wein zu Wein steigerte er das Lob, um sich Bigot gewogen zu machen. Zum Schluss hob

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